■ Kolumne: Sprachverwirrte Schimpfwörter
Zum babylonischen Sprachgewirr trägt wie nichts anderes die Tatsache bei, daß die Dinge sich verändern. Da fällt dann in fröhlicher Runde ein Begriff wie „Daimler Benz“, und selbst die vertrautesten Freunde sprechen plötzlich unterschiedliche Sprachen.
Nicht anders bei dem Ausdruck „Brit Pop“, der immerhin für jeden, der ihn verwendet, mehr bedeutet als nur „Popmusik aus Großbitannien“. Dem älteren Semester fällt da die seinerzeit von den Beatles losgetretene Lawine begabter, junger britischer Bands ein, die in kürzester Zeit das popmusikalische Selbstbewußtsein US-Amerikas unter sich begrub. Angehörige meiner Generation denken an eine bestimmte musikalische Qualität, die Fähigkeit, schöne, kurze, aber musikalisch reiche Songs zu schreiben, die im Gegensatz zum US-Pop weniger von R&B und Country als von klassischer Musik geprägt waren – also das, was die Zombies und die Chrysanthemums, Procol Harum und Prefab Sprout miteinander verbindet.
Heute ist „Brit Pop“ ein Schimpfwort und bezeichnet das Nichts, das fade Angeber wie Suede und Oasis auf Tonträgern zu konservieren sich erdreisten. Ausgerechnet jetzt kommt es unter dem Oberbegriff „Buy British“ (das erinnert doch an etwas) zu einer konzertierten Aktion seitens britischer Musikpresse und Tonträgerindustrie, die in einer Aufwallung patriotischen Wahns ihre Mitbürger davon abhalten wollen, Platten aus Übersee zu kaufen.
Hierzulande gibt es ja noch das Häuflein der Früh-80er-Nostalgiker, die sich unsagbar freuen und bestätigt fühlen, daß ein Altheld wie der frühere Orange Juice-Sänger Edwyn Collins auf einmal den Erfolg seines Lebens hat. Ich freue mich mit ihnen, denn ich finde es immer unsagbar traurig, wenn ein Musiker in der Gosse landet. Wobei der Song „A Girl Like You“ natürlich so schlecht ist wie alles, was Collins in den letzten zehn Jahren veröffentlicht hat. Daher gehört meine wahre Freude, mein klammheimliches Ich-hab's-ja-schon-immer-Gesagt der Tatsache, daß die High Llamas in die unteren Regionen der deutschen Top 100 eingedrungen sind. Denn die High Llamas sind die Band von Sean O'Hagan, dem früheren Gitarristen und Musikchef der Gruppe Microdisney. Sein kongenialer Kollaborator, der einzigartige Bühnenverrenker und Profiprovokateur Cathal Coughlan ist allerdings nicht mehr dabei. Die wohl abgeschmeckte Mischung aus O'Hagans fein ausgetüftelten Melodien, die in aller Mark-Knopfler-Kompetenz lässig heruntergegniedelten Telecaster-Riffs und Coughlans Papstbeschimpfungen waren bereits vor drei Jahren einmal Thema dieser Kolumne. Inzwischen darf Coughlan mit seiner Fatima Monsions das Vorprogramm für U2 machen, während O'Hagan sich ganz seiner Liebe zu den Beach Boys, denByrdsund anderen klassischen US-Bands ergeben hat und dafür unerwarteterweise in Deutschland Mehrheiten gewinnen kann.
Meine liebste Orange Juice -Fußnote ist übrigens nicht die Tatsache, daß auf „A Girl Like You“ der ehemalige Sex Pistols- Schlagzeuger Paul Cook mitspielt, sondern daß Collins' 1986er Album „Hope And Despair“ von dem Kölner Synthesizer-Spezialisten Tom Dokoupil koproduziert wurde, der, als er noch Mitglied er Gruppe Wirtschaftswunder war, bei Auftritten in Hamburg immer schon nach wenigen Minuten von unseren Punks von der Bühne gespuckt wurde.
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