■ Kolumne: Greise und Gruselwerk
Wenn jemand in irgendeiner Nacht des Jahres 1980 den in der Marktstube trinkenden Opinion leaders erzählt hätte, daß Anfang 1996 eine schwäbische Gruppe namens Fool's Garden die deutschen Charts von hinten aufrollen würde, wäre er von Herzen ausgelacht worden. Wahrscheinlich hätte man jeden denkbaren Einsatz gegen das Eintreten dieses Ereignisses gesetzt; alles hätte man dem Jahr 1996 zugetraut, nur das nicht.
Ein sehr weit außen Stehender mag einwenden, die Leute würden 1996 doch auch wieder gepflegte lange Haare und Hosen tragen, die unten weit sind. Aber das ist natürlich das falsche Argument: Bands wie Fool's Garden werden nicht wieder, sondern immer noch gegründet und gehört. Mit dem Zeitgeist oder auch den Zeitläuften ist das nämlich im Zeitalter der elektronischen Reproduzierbarkeit eine komische Sache: viele, viele sich gegenseitig widersprechende Geister leben friedlich nebeneinander.
Die 80er mögen das Jahrzehnt von Depeche Mode und The Fall gewesen sein, noch mehr aber das von Phil Collins und Pink Floyd. 1995 gehörte Björk und Goldie, vor allem aber Pur und den Rolling Stones. Mal ganz abgesehen von den vielen Kindern, die da sagen können: „1987 habe ich die Beatles entdeckt.“ Oder: „Vor fünf Jahren habe ich fast nur Seventies-Funk gehört, jetzt liebe ich vor allem Blue-Note-Platten der frühen 60er.“
Bands wie Fool's Garden aus Bietigheim-Bissingen rücken immer dann auf den Plan, wenn in der Tonträgerindustrie die Umsätze nicht stimmen. Dann halten greise Honoratioren von der GEMA oder der Phono-Akademie verstärkt Jammerreden, in denen Wörter wie „Kreativität“ und „Künstler“ fallen, bei denen den zum Zuhören verdonnerten Junior Marketing Assistants immer unwohl wird, weil sie nicht genau wissen, was sie in diesem Zusammenhang bedeuten.
Als Reaktion jedenfalls wird verstärkt in Clubs gegangen, werden Demobänder angehört statt weggeschmissen, werden zusammen mit Versicherungen und Stadtzeitschriften Nachwuchswettbewerbe veranstaltet und irgendwann findet sich dann schon eine Gruppe, die nach zehn dürren Proberaumjahren, die dem Nachspielen von Johnny Winter und Led Zeppelin geopfert wurden, „mal was eigenes“ machen will.
Daß es jetzt bei Fool's Garden so schnell so weit nach oben ging, ist natürlich auch eine Marketing-Leistung der Firma Intercord (ansässig in dem bei Bietigheim-Bissingen gelegenen kleinen Dorf Stuttgart). Vor allem deshalb, weil sie es hinbekommen hat, monatelang ein unglaubliches PR-Tohuwabohu zu veranstalten und später dennoch einen Artikel in Gala zu bekommen, in dem drinsteht: „...marschierte die sympathische Band ohne jeden Werbeaufwand ganz nach oben in die Charts...Qualität setzt sich eben doch noch durch!“
Aber die sympathischen Jungs werden sich noch umschauen, denn der Spaß ist schon lange 'raus aus dem Music Biz. Sogar für den Tenor Stink, den Prototypen jeder Gattung Musiker, die von Plattenfirmen-Angestellten gerne echte Künstler genannt werden (im Gegensatz zu Künstlern, also Johnny Hill, Mark Oh oder Fritten + Bier): Wenn er jetzt durch die Welt reisen darf, um für sein neues Gruselwerk Mercury Falling Reklame zu machen, darf er keine fernen Länder besuchen, sondern lediglich alte und neue, gesättigte und wachsende Märkte.
Übrigens hätte man 1980 noch eine schöne Wette gewinnen können. Man hätte nur im April des Jahres das Killing-Joke-Konzert in der Markthalle besuchen, sich einen der in vorderster Front pogenden schwarzgekleideten Knaben schnappen und zu ihm sagen müssen: „Siehst du diese Band dort oben? Sie heißt Killing Joke. Ihr Sänger und Keyboarder heißt Jaz Coleman, ihr Sid-Vicious-artiger Bassist nennt sich Youth. Wetten, daß Ende 1995 ein Album erscheint, das den Titel trägt: The London Philharmonic Orchestra plays the music of Pink Floyd (featuring selections from „Dark Side Of The Moon“ and „The Wall“) und daß auf der Rückseite zu lesen sein wird: ,Produced by Youth' und ,Arranged by Jaz Coleman'?“
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