■ Kolumne: Raupen in der Blitzhitze
Die „Blitzhitze“ kündigte die Morgenpost auf der Titelseite mit einem Bild an, auf dem nichts drauf war außer viel Gelb und zur Mitte hin ein schönes Weiß. „Was muß im Kopf des Layouters vorgegangen sein?“ fragte sich ein befreundeter Grafiker. „Und in dem des Chefredakteurs?“ sekundierte ich, da ich weiß, daß sich bei der Morgenpost der Chefredakteur die Titelseite noch persönlich ausdenkt (zumindest war das damals so, als noch der zukünftige NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement Boß des Blattes war).
Unsere Konversation be-mächtigte sich anderer Sommerthemen: „Ich sach ja, wenn das hier immer so'n Wetter wär, dann kämen die Leute ganz anders drauf“, sagte der Grafiker. „Dann würden die Menschen hier echt zu Tieren“, beendete ungefragt ein anderer Trinker das Gespräch mit einem erstklassigen Gemeinplatz (... und nicht etwa „Allgemeinplatz“, wie ich neulich in Tempolas – ausgerechnet in Tempo, jenem Blatt, dessen einziges Anliegen es ist, sich als Kämpfer für ein totes, nach den sinnlosen Regeln des ehemaligen Welt-Chefredakteurs und von André Heller seinerzeit exemplarisch gedemütigten Drei nach neun-Talkmasters Wolf Schneider zusammengebautes Deutsch zu profilieren).
Aber apropos Tiere: Es mag an der Blitzhitze liegen, vielleicht auch am Ozon, jedenfalls bemerke ich in diesem Jahr eine völlig veränderte Fauna in meiner Wohnung und auf meinem Balkon. Vielleicht weil ich großzügig bin und ein offenes Haus führe, so daß auch nachts alles, was da kreucht und fleucht, durch weit geöffnete Fenster und Türen in mein Heim hinein kreuchen und fleuchen kann, konnte ich mich schon immer über ein munteres Gewimmel bei mir zu Hause freuen.
Aber in diesem Jahr ist alles anders: Raupen spazieren auf den Grünlilien, Trilobiten aus dem Tertiär haben sich in dem Topf einer altgedienten Zimmerpalme häuslich eingerichtet, die all die Jahre vorher von sehr hartnäckigen, winzigen schwarzen Dingern heimgesucht wurde, die auf einmal ohne mein Zutun verschwunden sind. Aber am überraschendsten finde ich die Ameisen auf meinem Balkon, die ihren Bau in einem der Pflanzenwelt zur freien Verfügung gestellten mittelgroßen Topf errichtet haben müssen! Denen ich es möglicherweise zu verdanken habe, daß meine Rosenzucht über Nacht auf einmal wieder blattlausfrei ist (man kennt ja jene Greuelgeschichten über Ameisen, die Läuse verschleppen, um sie in ihren Bauten zu versklaven).
Ja, der Sommer ist schön, aber das schönste am Sommer ist das allen Unkenrufen zum Trotz (auch dies wieder ein herrlicher Gemeinplatz; wenn auch aufgrund seiner biologischen Anmutung in diesem Text gerade noch vertretbar) immer noch existierende Sommerloch: Denn ihm ist es zu verdanken – und ich spreche jetzt in meiner Eigenschaft als Geschäftsführer eines Tonträgerkonzerns –, daß über interessante Bands gleich zweimal hintereinander berichtet wird. Danke Morgenpost ,danke taz !
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