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taz FUTURZWEI

Kolumne über Umweltkrise am Titicacasee Müll, Müll, Müll

Unsere Autorin hatte den Titicacasee an der Grenze zwischen Peru und Bolivien stets aus der Ferne romantisiert. Nun erlebt sie ihn als gigantische Müllhalde. Die Leute haben einfach andere Sorgen.

Ziemlicher Müll: Die Anlegestelle, um auf die Inseln der Urus zu gelangen Foto: Axel Bradatsch

taz FUTURZWEI | Ich hatte mir den Titicacasee irgendwie anders vorgestellt. Romantischer. Mit Booten aus Schilf, die uns durch das klare Wasser tragen, dem – der Legende nach - einst die ersten Inkas entstiegen. Weit gefehlt. Das Wasser ist alles andere als klar, im Schilf sammeln sich Plastikflaschen und ein strenger Geruch, über den ich nicht weiter nachdenken möchte, macht sich am Ufer breit.

Hier stehen wir nun und warten, dass wir abgeholt werden. Auf der peruanischen Seite des Titicacasees, auf über 3800 Meter Höhe. Seit ein paar Wochen fahren Arsen und ich durch Lateinamerika, mit dem Motorrad, dem Bus, per Anhalter. Che Guevaras „Motorcycle Diaries“ im Gepäck.

Für diese Nacht haben uns eine Hütte auf einer der künstlichen Inseln auf dem See gemietet, die von der indigenen Gruppe der Urus gebaut werden. Es ist kalt, hinter uns hört man das Gebell der Straßenhunde.

Die Müllsituation

Der Vermieter der Hütte holt uns nicht in einem traditionellen Schilfboot ab, sondern mit dem Motorboot. „Das Wasser ist etwas kalt, um hier zu schwimmen“, lacht er, während wir an einem Schwein vorbeifahren, das auf einer der Inseln in Mülltüten wühlt. Ich lächle höflich zurück. Ich bin zu müde, um ihn auf die Wasserqualität anzusprechen oder die Müllsituation.

Außerdem habe ich das Gefühl, dass ich dazu keine ehrliche Antwort von ihm bekommen werde. Die Inseln aus Schilf sind – wie wir bald checken – ausschließlich auf Touris ausgelegt (zu denen wir jetzt wohl auch zählen...). Die wenigen noch lebenden Urus scheinen sich gegen ihre Tradition entschieden zu haben, im Einklang mit der Natur zu leben, und dafür, ihre Lebensgrundlage noch für die wenigen verbleibenden Jahre komplett auszubeuten. Dass der umhertreibende Müll unübersehbar ist, scheint niemanden zu stören.

Kolumne STIMME MEINER GENERATION

Ruth Fuentes und Aron Boks schreiben die neue taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.

Fuentes, 29, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.

Boks, 27, wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.

Das Problem mit der Notdurft

Uns wird die „Toilette“ auf der anderen Seite des Stegs gezeigt: ein Loch, direkt über dem Wasser. „Hier werde ich sicher nicht kacken“, sagt Arsen und schaut mich besorgt an. „Es ist vermutlich egal, ob hier oder in der Stadt…“, sage ich, auch besorgt. Später lese ich tatsächlich, dass 2,5 Kubikmeter ungefiltertes Abwasser pro Sekunde in den See fließen.

Das Abwassers kommt aus allen großen Städten um den See. Geld für Kläranlagen sei zwar zur Verfügung gestellt worden, und laut einer Investigativrecherche, die ich zum Einschlafen lese, auch ausgegeben worden. Aber Anlagen gebe es immer noch kaum welche, und die wenigen, die es gebe, sind nur zu Teilen in Betrieb, weil wiederum kein Geld mehr da sei für mögliche Arbeiter.

Verschmutzt wird der See aber auch – so lese ich weiter – durch den Abfall, der beim illegalen Bergbau entsteht. Hinzu kommt die Klimakrise, der Wasserstand ist bedenklich niedrig.

Am meisten beschäftigen mich aber die Bewohner hier, die sehenden Auges ihre Umwelt zu einer Müllhalde werden lassen.

Die neue taz FUTURZWEI

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Deutsche Verhältnisse im Kopf

Ich liege noch lange wach und denke darüber nach, dass, obwohl mich die Situation nicht ganz überrascht, die Lage hier vor Ort doch schockiert. Ich weiß, auch in Europa sieht es nicht super aus, was Umweltverschmutzung angeht, aber so nicht.

Ich denke an die Forderungen, die ich mit den Klimaaktivisten in Deutschland auf Demos verteidigt habe: 1.5 Grad-Ziel, Tempolimit, Solidarität mit dem Globalen Süden. Eine ordentliche Müllversorgung hat da keine große Rolle gespielt. Dass man seinen Müll nicht irgendwo am Straßenrand verbrennt und für funktionierende Kläranlagen gesorgt ist, ist doch selbstverständlich. Oder? Das haben wir alle in der Schule gelernt.

Es muss doch irgendjemanden geben, der sich dafür einsetzt, dass der Titicacasee nicht komplett zur Müllhalde wird? Junge Menschen vielleicht, die in einigen Jahrzehnten immer noch hier leben möchten? Man wirft seinen Müll doch nicht einfach vor die eigene Haustür, oder?

Wer schützt den See?

Das frage ich auch Raquel Romero, die ich ein paar Tage später in der bolivianischen Hauptstadt La Paz treffe. Sie ist Leiterin einer Stiftung, die unter anderem zusammen mit jungen Leuten Projekte organisiert, um den See zu schützen.

„Es gibt kein Bewusstsein für Müll“, sagt sie. „Die Kinder lernen von ihren Eltern: wirf den Müll einfach durchs Autofenster oder direkt auf die Straße.“ Ich treffe sie in ihrem Büro, um unsere herum Regale voller Ordner mit Förderungsanträgen. Die bürokratischen Hürden, um überhaupt ein Projekt starten zu können, scheinen riesig zu sein, wie ich erfahre.

Auch der Großteil der Abwasser von El Alto, der Stadt oberhalb von La Paz, fließe einfach in den See, sagt Raquel. „Einmal haben wir ein Netz an einem Fluss gespannt, der in den See fließt. Nach wenigen Tagen hing da alles: Plastik, medizinischer Müll, Tierkadaver, alles.“

„Ja, aber stört das denn niemand?“, frage ich.

Raquel schüttelt fast schon resigniert den Kopf: „Die meisten Menschen sind mit anderen Dingen beschäftigt. Arbeiten, essen, überleben…“ Als Statussymbol gelte dann, wenn man sich zum Essen 2 Liter Cola-Flaschen kaufen könne. Aus Plastik natürlich. „Und in der Politik wünschen sich die Leute sichtbare Ergebnisse: eine Kläranlagen sieht man nicht, aber ein neues Fußballfeld, das steigert die Beliebtheit.“

Erst als ich mein Aufnahmegerät stoppe, schaut mich Raquel etwas verzweifelt an und sagt – als hätte sie es sich in dieser Klarheit davor nicht getraut: „Außerdem ist alles einfach unglaublich korrupt.“

Ein Fünkchen Hoffnung

Und erzählt mir dann doch von einem Projekt, dass ihr Hoffnung macht: Ein Gruppe junger Menschen geht in El Alto an Schulen, um in den Mittelstufen über das Müllproblem aufzuklären und dann mit den Jugendlichen PET-Flaschen zu sammeln, bevor sie im See landen. Das Plastik bringt sogar Geld ein, es gibt Recyclingunternehmen, die es kaufen, um daraus Plastikstühle oder -karaffen herzustellen. Ein kleines Projekt, das Potential hat, einen großen Impact zu generieren.

Die kulturelle Grundlage ist ja eigentlich da: Nachhaltigkeit, Leben im Einklang mit der Natur, in Respekt vor der Göttin Pachamama, der Mutter Erde, das war für die indigenen Völker in den Anden schon immer von großer Bedeutung. Für Raquel ist es deswegen umso wichtiger, sich wieder auf diese kulturellen Wurzeln zurückzubesinnen.

Doch: einfach ist das nicht. Es sind Faktoren wie Armut, Korruption, fehlendes Bewusstsein, mangelnde Bildung und einer globalisierten Wirtschaft, die vor Ort den Markt mit Müll überflutet, die diese indigenen Werte nach und nach in Vergessenheit geraten lassen.

Ein Anfang

Ich laufe noch eine Weile mit Arsen durch die Straßen von La Paz. An unzähligen Straßenständen und Ramschläden vorbei, in denen billig Massenware angeboten wird – hauptsächlich aus Nordamerika und Asien. An einem Kiosk wollen wir uns was zu trinken holen. Es gibt nur Softdrinks aus Plastikflaschen, und Wasser. Selbst das gehört zu Coca-Cola.

Im Park steht tatsächlich ein Sammelbehälter, in dem man seine PET-Flasche werfen kann, damit diese recycelt wird. Ich zähle fünf leere Flaschen. Ein Anfang.

🐾 „Stimme meiner Generation“ heißt die gemeinsame Online-Kolumne von Aron Bocks und Ruth Lang Fuentes. In loser Folge schreiben sie darin für unser Magazin taz FUTURZWEI über die Lebensrealität der Gen Z und darüber hinaus.

🐾 Lesen Sie weiter: Die aktuelle Ausgabe taz FUTURZWEI N°32 mit dem Titelthema „Wozu Kinder“ gibt es jetzt im taz Shop.