Kolumne Wechseljahr 2008: Mit Gott und Gewehr
Wie fühlt sich Amerika? Dagmar Herzog über die Verfasstheit einer Changing Nation
Eigentlich könnte man davon ausgehen, dass sich die Menschen in Pennsylvania nicht gerne unterstellen lassen, eine besondere Vorliebe für Gewehre und Gottesglauben zu haben. Barack Obama aber tat genau dies, als er bei einem Fundraiser-Auftritt sagte, Menschen in ärmeren Städten der USA seien so frustriert angesichts der hoffnungslosen Wirtschaftsaussichten, dass es nicht überraschend sei, wenn sie sich an Schusswaffen oder Religion "klammern".
Aber kein einziger Reporter oder Clinton-Unterstützer hat sich daran gestört, denn diese Kombination gilt im Herzland der USA als völlig selbstverständlich. Schon in der Wahlkampfrunde 2006 versicherte ein Kandidat in Tennessee den Wählern, er würde ihnen auf keinen Fall "Ihre Bibel oder Ihr Gewehr" wegnehmen - obwohl er als liberaler Demokrat galt.
Hillary Clinton jedoch hat nur auf solch einen Moment gewartet, um ihren Rivalen Obama als "elitär" und "überheblich" zu bezeichnen. Sie erzählte Geschichten von ihren ersten Erfahrungen mit Schusswaffen als junges Mädchen und bescheinigte, wie wichtig Waffen für den "way of life" eines US-Durchschnittsbürgers sein können.
Sie brachte einen Spot ins Fernsehen, in dem diverse Menschen aus Pennsylvania ihrer Empörung über Obama Luft machen. "Ich klammere mich nicht aus Frust an meinen Glauben," beteuert eine Frau indigniert. "Ich finde meinen Glauben sehr erhebend." Und ein Mann belehrt die Zuschauer mit streng missbilligender Miene, dass die "guten Menschen von Pennsylvania Besseres verdient hätten." (Es stellte sich später heraus, dass dieser Mann bis vor kurzem in New Jersey gelebt hatte.)
Auch John McCain verteilte kräftig Hiebe und erregte sich heftigst über Obamas nun angeblich entlarvtes Yuppietum. Seine Freude über die Fortsetzung des demokratischen Zwists und Clintons Anti-Obama-Arbeit war dabei kaum zu übersehen.
Auf eines scheint jedoch niemand in der auf Sensation fixierten Medienlandschaft gekommen zu sein: dass Obama nichts Herzloses gesagt hat, seine Worte also gar nicht als Ausrutscher verstanden werden konnten, sondern als einfühlsame, präzise Analyse einer miserablen, sich immer weiter verschlechternden Situation. Nur das Obama-Kampagnen-Team merkt immer wieder an, dass die Worte vielleicht unglücklich gewählt, die Kernaussage aber alles andere als unsensibel war. Sogar in der jüngsten Clinton-Obama Debatte in Philadelphia waren die Moderatoren noch davon besessen, den Streit weiter zu befeuern.
Bleibt das einzig Gute an dieser Aufregung, die sich am völlig falschen Punkt festmacht: Plötzlich wird über das allergrößte Tabuthema in der US-amerikanischen Politik - die Klassengegensätze und die dazugehörigen Ressentiments und Ängste - offen und detailliert diskutiert. Wer daraus den Vorteil zieht, zeigen morgen die Ergebnisse der Pennsylvania-Vorwahl.
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