Kolumne Trends und Demut: Melodien für Millionen
Die einzigen Schwarzen beim Open-Air-Festival: Ein alternder Grandmaster Flash, eine versprengte Public-Enemy-Truppe und zwei Ticketkontrolleure.
I ch war auf meinem ersten britischen Open-Air-Festival. Reine, mit Musik unterlegte Regellosigkeit, mitten im regnerischen englischen Nirgendwo. Für das gleiche Geld hätte ich eine Woche in die Türkei fliegen können. Vollpension. Stattdessen gab es einen geisterhaft abwesenden Brian Wilson, 365 The Cure Hits zum Mitgrölen und die Village People. Am Montag behauptete der Guardian, dass die Zeit der coolen Festivals ohnehin vorbei sei. Zu groß, zu teuer, immer die gleichen Senioren-Millionärsbands.
Meine Rede! Dabei ist das Open-Air-Spektakel ein durch und durch britisches Phänomen. Eine temporär aufgebaute Multifunktionsstruktur, innerhalb der sich für ein verlängertes Wochenende alles konzentriert, was die Briten gerne mögen: die saftig grüne Countryside, das sich wohlige Suhlen im eigenen musikalischen Erbe, die hemmungslose Lust am Verkleiden, Fressbuden mit Fastfood aus aller Herren Länder, Nikotinkonsum ohne Androhung hoher Geldstrafen und Vollgassaufen unter Aufsicht geduldig wartender Sanitäter vor Ausnüchterungszelten.
Ich lag selbst in einem dieser Zelte, denn durch die hämmernden Bässe diverser DJs, die auf der Bühne längst das Gleiche verdienen wie hart arbeitende Gitarrenbands, bekam ich plötzlich unerträgliches Kopfweh.
lebt in London und ist Kulturjournalistin.
Ich litt also in diesem Zelt vor mich hin, zwischen stöhnenden Wodkawesen und Ecstasyorganismen, und mir wurde klar, dass in diesem recht authentischen Ausschnitt der britischen Gesellschaft irgendetwas deutlich fehlte. Dieses Festival war absolut weiß! In der Masse aus über 50.000 Besuchern sah man fast kein einziges "dunkles" Gesicht.
Natürlich ist das in Kulturszenen wie der Londoner Kunstszene nicht anders. Dort ist es noch viel schlimmer. Doch dass bei einer Massenveranstaltung, die Melodien für den Mainstream präsentiert, die einzigen Schwarzen ein alternder Grandmaster Flash, eine versprengte Public-Enemy-Truppe und zwei Ticketkontrolleure waren, fand ich ein wenig dünn.
Am Samstag schoss der Anteil nichtweißer Besucher dann immerhin um wenige Prozentpunkte in die Höhe. Woran das lag? Am Karneval! 50.000 Besucher feierten eine gigantische "Fancy Dress"-Party, also eine britische Version des Faschings, und ein paar von ihnen hatten sich bunt angemalt und gingen als "Afro": Jackson Five, Jimi Hendrix, Slash, Salt 'n' Pepa oder Beyoncé Knowles, schwanger! Ich verließ das Festival und hatte wieder etwas dazugelernt: Wo die Kulturpolitik versagt, sorgt die traditionelle Freude der Briten am Verkleiden für die nötige Vielseitigkeit. Helau!
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