Kolumne Teilnehmende Beobachtung: Nette Nachbarn
taz-Kolumnistin Julia Boek will ihren MitbewohnerInnen noch eine Chance geben.
Meine Nachbarn sind doof. Eine Hausgemeinschaft gleichgültiger Mieter, von denen die meisten nur widerwillig grüßen, wenn man sich am Briefkasten oder Fahrradständer trifft. Schon im Erdgeschoss, wo zwei Kauze wohnen, die eilig die Tür schließen, wenn man vorbeigeht, fängt es an. Der eine hat sich seit dem Tod seiner Frau komplett in seine vier Wände zurückgezogen. Vor dem anderen wird sogar der Postbote per Zettel am Briefkasten gewarnt, dort „niemals keinerlei“ Post abzugeben. Sowieso hat der Postbote kein leichtes Spiel bei uns. Selten öffnet ihm jemand die Tür. Einmal war er so frustriert, dass er schreiend durch das Treppenhaus lief.
Ich glaube, dass man in einem doofen Haus selbst doof wird. So habe ich den Kauz ohne Frau im Erdgeschoss nie gefragt, ob ich ihm etwas aus dem Supermarkt mitbringen soll.
Und dabei legte ich früher viel Wert auf nachbarschaftliches Miteinander. Vielleicht nicht ganz so viel, wie der nackte Herr Markgraf aus der Mandelstraße in Prenzlauer Berg, der immer mit seinem Gemächt wedelte, wenn ich meinen Balkon, der neben seinem lag, betrat. Doch wichtig waren mir meine Nachbarn schon.
In der Karl-Kunger-Straße in Alt-Treptow gab es das Rentnerehepaar Schöne. Wann immer ich Herrn und Frau Schöne traf, wurde ich zu Kaffee und Kuchen eingeladen. Die Schönes freuten sich über meine Geschichten aus der Uni, ich freute mich über großelterliche Nachbarn, die immer Zeit für ein Schwätzchen hatten, pünktlich um 12 Mittag und um 18 Uhr Abendbrot aßen – egal ob ich gerade gleichzeitig an drei Hausarbeiten schrieb, mein Mofa nicht ansprang oder pleite war.
Nach dem Studium renovierte ich dann mit Freunden monatelang ein 180 Quadratmeter großes Ladenlokal in einem Weddinger Altbau, das früher einmal Fleischerei und zwischendurch China-Imbiss war und jetzt unser Kulturverein mit Galerie, Salon mit Bar und Bühne wurde. Nachdem der Stuck freigelegt, alle Böden abgeschliffen und die Wände millimeterglatt verspachtelt waren, zog ich mit Freunden in die Erdgeschosswohnung gleich hinter der Bühne. Das war wunderbar, denn Konzerte, Partys und Lesungen fanden nun quasi in meinem Wohnzimmer statt. Spielten Bands auf der Bühne, wurde unsere Küche Backstage-Bereich. Am nächsten Morgen begegnete man meist noch ein paar Schnapsleichen, die den Absprung nicht geschafft hatten. Meine Nachbarn traf ich nun regelmäßig am Tresen. Auch Dieter, den Vermieter, der sein Bier bei uns anschreiben ließ, um es mit der nächsten Monatsmiete zu verrechnen.
In der gleichen Straße fand ich später eine schöne Wohnung mit weitem Blick in den Berliner Himmel, wenn man in der Badewanne lag. Meine Nachbarn waren richtige Proletarier, nur dass ihnen die Arbeit abhandengekommen war. Dafür hatten sie viel Zeit, die sie auf dem Hinterhof verbrachten, um platte Fahrradreifen zu reparieren. Nachbar Gerdchen ging gern auf Kneipentour. Eines Nachts rumpelte es laut im Treppenflur. Gerdchen, der seinen Schlüssel verbummelt hatte, brach gewaltsam die Tür zu seiner Wohnung auf. Wochenlang lehnte sie nun provisorisch vor dem Türrahmen, sodass man in sein Wohnzimmer gucken konnte.
So bodenständig die Zeit in meinem Weddinger Biotop auch war und so prall meine Fahrradreifen, irgendwann gingen mir der stetig wachsende Sperrmüllhaufen im Hof oder die Hundescheiße im Hausflur gewaltig auf die Nerven.
Und jetzt also mein Haus, das doofe Haus. Neulich lag ein kleines Geschenk vor meiner Tür. Eine Nachbarin hatte meinen Namen in der Zeitung entdeckt und schrieb mir ein paar nette Zeilen. Ich war überrascht – vielleicht wird es doch noch mit den Nachbarn und mir.
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