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Kolumne OverseasSizilianische Kälte

Warum ich mir auch in diesem Winter in Washington wieder den Hintern abfrieren werde.

Bild: taz

Adrienne Woltersorf ist USA-Korrespondentin der taz mit Sitz in Washington.

Das ist die Geschichte, wie die Historische Kommission Washingtons dafür sorgt, dass ich, während ich mit der einen Hand diese Zeilen schreibe, meine Terrassentür mit der anderen zuhalten muss. Draußen weht ein kalter Wind, und meine alte Holztür zum Balkon droht aufzuspringen. Obgleich die US-Hauptstadt in einem nahezu subtropischen Sumpfgebiet liegt, in dem es früher nur so von Malariamücken wimmelte, ist es in diesen Tagen eisig. So wie man auch auf Sizilien, mit dem Washington auf gleicher geografischer Breite liegt, in Winternächten mehr friert als in Kopenhagen, so hält man es auch hier in den Winternächten nur mit Fäustlingen und Wärmflasche aus.

Das Grund ist natürlich, dass die Nordeuropäer ihre Türen und Fenster ordentlich abdichten, während man im Süden von jeher glaubt, die paar Frostnächte auch mit Fliegengittern als Türattrappen überstehen zu können. Zwar ist selbst in den sibirischen Weiten der nördlichen USA die Doppelverglasung noch nahezu unbekannt, aber wenigstens hat man dort kräftigere Heizlüfter als in den sogenannten Südstaaten. Nachdem ich nun schon zwei Winter frierend überstanden habe, wollte ich es im letzten Herbst nicht mehr darauf ankommen lassen. Schon im Oktober bekam ich das Okay meines freundlichen Vermieters, alle Fenster neu machen zu lassen. Ja, er war der Idee von klimafreundlichen Isolierglasfenstern nicht wirklich abgeneigt. Er lebt gerade in Berlin.

Da ich schon verstanden habe, dass in unserem ehrenwerten Haus, dass aus lauter Eigentumswohnungsbesitzern besteht, nichts ohne den Blockwart geht, wandte ich mich an den streng blickenden Herrn, der jede Nacht um den Hausparkplatz streicht und unautorisiert parkenden Autos großflächige Warnschilder auf die Windschutzscheibe klebt - solche, die man nur mit Verdünner wieder runterbekommt. Der schickte mir umgehend ein 20 Seiten starkes Handbuch, wie ich Reparaturen im Haus beantrage. Bevor ich das Formular fertig ausfüllen konnte, musste ich aber offenbar erst den Meisterbrief des Handwerks meiner Wahl beibringen.

Reparieren, stellte ich bald fest, ist offenbar wieder so ein putziges Retroverhalten von Menschen aus old Europe. 392 Betriebe, die sich auf Fenster und Türen in der Region Washington und Virginia spezialisiert haben - und kaum einer benutzt das Wort Reparatur. Nur einer, der sich auf Villen spezialisiert hat, begrüßt mich mit einem verblüffenden Text auf seiner Homepage. Es sei manchmal sogar billiger zu renovieren als umzuziehen, lese ich da. Nun ja, für eine Nation, die zweihundert Jahre gen Westen gezogen ist, mag das das untrüglichste Zeichen sein, dass die Pazifikküste erreicht ist. Ich erreichte schließlich Shaun, den netten Fenstermann aus Virginia. Er reagierte zögerlich, nachdem ich ihn bat vorbeizukommen, um mir einen Kostenvoranschlag zu machen. Shaun macht in Plastik, das fand ich akzeptabel. Schließlich nahm ich mir vor, pragmatisch zu sein, denn nur vier Fensterbetriebe in meiner Gegend arbeiten überhaupt mit dem überaus exotischen Material Holz. Und dann wohl nur für Senatoren oder deren Geldbeutel.

Ganz amerikanisch wollte ich also nach vorne schauen, den Fortschritt einbauen und, zum Teufel mit dem alten Plunder, die original Pinienholztüren aus den 20er-Jahren rausreißen lassen. Sie sind verwittert, hängen schief in den ausgeleierten Angeln und sind entweder nicht zu schließen oder nicht zu öffnen.

Shaun dämpfte meinen Optimismus: Er würde sich zunächst lieber mal Fotos anschauen. Ich solle alles fotografieren und ihm zuschicken. Zwei Wochen später meldete er sich wieder. Das sehe ganz nach Historischer Kommission aus, meinte er und klang, als müsse er mir sagen, ich hätte Krebs im Endstadium. Er wolle das übernehmen, ich sollte nur noch angeben, in welchem Winkel meine Fenstertüren jeweils zur Straße lägen und wie viel Abstand ich zum Nachbarhaus habe. Dann hörte ich vier Wochen lang nichts. Es wurde kalt und kälter, ich hatte beim Arbeiten schon längst die Decke um die Beine gewickelt und einen großen schweren Karton vor meine Balkontür gestellt, damit sie geschlossen bleibt.

Schließlich kam das Verdikt: Holz! Die Historische Kommission, die noch vor kurzem ohne Gewese den Abriss eines ganz hübschen Innenstadtbaus aus den 40er-Jahren genehmigt hatte, verlangte Holz. Shaun verabschiedete sich. Tja, da könne er nichts tun. Er wisse auch nicht, wer Holztüren reparieren könne. Und so wird auch dieser Winter in meiner 3.000-Dollar-Wohnung wieder sizilianisch frisch.

ADRIENNE WOLTERSDORF

OVERSEAS Fragen zu Holz kolumne@taz.de Morgen: Bettina Gaus über FERNSEHEN

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