Kolumne Ortstermin: Bleich und blutarm
Jürgen Rüttgers und das NRW-Medienforum - zwei, die ihre besten Zeiten hinter sich haben.
W as macht ein Ministerpräsident, der nur noch zwei Wochen im Amt ist, eben noch seinen Rücktritt von allen Parteiämtern verkündet hat und nun nur noch einen Auftritt bei einem Medienkongress absagen muss?
Jeder andere würde wahrscheinlich einen Adlatus zum Telefon greifen lassen. Jürgen Rüttgers aber geht hin. Da steht er nun, ein bisschen bleicher als sonst - oder liegts nur am Licht in der leidlich überfüllten Halle?
Tapfer eröffnet der Dead Man Walking (Kölner Stadtanzeiger) das 22. Medienforum NRW.
Es sei ihm schon klar, sagt der selbst ernannte CDU-Arbeiterführer,dass das hier so eine Art Abschiedsrede werde. Und dann gibt er plötzlich den Staatsmann, als würde nicht etwa Christian Wulff, sondern er, Jürgen Rüttgers, höchst selbst morgen in Berlin für das Amt des Bundespräsidenten kandidieren.
Es geht um die "Zukunft des Internets und die politischen Herausforderungen", mit denen er zwar nicht mehr allzu viel zu tun haben wird. Aber den "drohenden Verlust der Privatsphäre", den hat auch er bemerkt.
"Am Ende reicht ein Suchauftrag, und schon steht ein ganzes Leben abrufbar vor aller Augen - das trifft derzeit auch ganz gut auf ihn selber zu. Dabei hat der 1992 noch als Helmut Kohls "Zukunftsminister" in die ganz große Politik gestartete Mensch schon noch größere Pläne gehabt, als ausgerechnet auf dem von ihm nicht allzu heiß geliebten Feld der Medien eine blutarme Abschiedsrede zu halten.
Doch Rüttgers liest sich tapfer durch seine sieben Seiten Text, macht am Ende den obligaten Schwenk auf Europa, der heute im europhilen Nordrhein-Westfalen so dazu gehört wie früher das Steigerlied.
Am Ende leistet er sich noch einen Schuss Pathos, was bei ihm eigentlich immer nach hinten losgeht. Doch dieses eine Mal bricht tiefe Wahrheit aus ihm heraus: Was aus dem Internet, oder vielleicht war auch Europa gemeint, werde, "kommt es auf jeden von uns an - und nicht nur auf die da oben", ruft Rüttgers. Denn zu da oben gehört Jürgen Rüttgers, 1994 bis 1998 Bundesminister, 2005 bis 2010 NRW-Ministerpräsident, seit vergangenen Donnerstag nicht mehr dazu.
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