Kolumne Ökosex: Es lud meine Batterien
Warum sich Ökosex einmal beinahe ganz vehement für Atom, Kohle und Emissionshandel starkgemacht hätte.
Martin Unfried (41) arbeitet als Experte für europäische Umweltpolitik in Maastricht. Er liebt die solare Effizienzrevolution, kauft sich hemmungslos Klimaschutzprodukte und will damit bis 2012 raus sein aus der fossilen Welt. Er singt auch bei Ökosex, der ersten Kolumnenband der Welt.
Solarferien werden ein Megatrend in der Reisebranche. Die einen fuhren dieses Jahr ins Klimacamp und genossen Wasserspiele am Bauzaun der Kohlekraft. Ruppige Animation im Preis inbegriffen. Die Älteren wie ich lieben es kontemplativer und fahren in die solaren Besinnungswochen.
Wir besuchen jedes Jahr unsere Solaranlage auf der Ostalb. Glücklicher Zufall: da gab es Anfang August sogar Sonne satt. So stand ich jeden Morgen kurz vor Sonnenaufgang auf, setzte mich vor den Stromzähler im Keller und notierte erst mal den Zählerstand. Irgendwann blinzelte dann draußen die Sonne hinter der Ostalb hervor. Ich eile, immer frohen Herzens, raus in die Natur, den Blick gerichtet aufs Dach der Welt. Die Module glitzern in der ersten Morgensonne, Tau tropft vom Gestänge, das tiefe Siliziumblau strahlt in himmlischem Licht. Wenn der Wechselrichter zu brummen beginnt, hüpfen die Elektronen vor Freude und beginnen Sein und Haben wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Dann endlich steht das solare Ganze im Vordergrund.
Im Urlaubsgepäck hatte ich eine tolle Sammlung der schönsten Horrorargumente gegen die solare Effizienzrevolution. "Alles viel zu teuer, die Erneuerbaren noch nicht so weit, Atom- und Kohleausstieg geht nicht!" Insbesondere die pfiffigen ökonomischen Freiheitskämpfer hatten mir in der taz in den letzten Wochen viel Freude bereitet. Wer nix wird, wird Volkswirt. Alter Ökosexwitz. Der marktliberale Volkswirt hat eine ähnlich wichtige Aufgabe wie der rauchende Einraumkneipenwirt: Gegen uns naive, moralinsaure Ideologen hält er die Fahne der ökonomischen Freiheit, des Marktes hoch. Und ich muss zugeben, insbesondere nach der Lektüre des erfrischenden Artikels von Nils aus dem Moore mit dem ökosexmäßigen Titel "Im Schatten der Solarpanele" habe ich einen Moment gezuckt. Klang doch alles total logisch: Wir vom Klimaclub seien blöd. Wir wollten die Welt retten, aber viel zu viel dafür abdrücken! Klimaschutz, so das Versprechen, gäbe es jetzt nämlich auch beim Emissionshandelsdiscounter. Da müssen wir gar nicht zum Edelsolardealer, Windfachgeschäft oder Biogasbauern um die Ecke. Das sei rausgeschmissenes Geld. Also weg mit den Einspeisevergütungen und dem katastrophalen EEG.
Ja, dachte ich, wenn das so ist? So hatte ich das ja noch gar nicht gesehen! Und dann bräuchten wir Stromkunden gar nicht mehr in die Produktion, denn die Elektrokonzerne würden dann der ökonomischen Logik des eleganten Emissionshandels folgen, und der Markt erledigte den Rest. Das klang dufte. Insbesondere das neue Sahnestückchen der Einspeisegegner: Mein Solar- und Windstrom senke ja die CO2-Emissionen gar nicht, weil ja jemand mit den gesparten CO2-Zertifikaten sofort wieder ein Kohlekraftwerk betreibe. "Ach du Scheiße", dachte ich, "das ist wirklich ein super Horror-Hammer-Mega-Totschlagargument."
Ich saß so in der Ostalb-Sonne und starrte auf meine blauen PV-Module. Sie waren von vollendeter Schönheit. Apropos Schönheit. Da fiel mir ganz dringend Mannheim ein. Mannheimer sollten nämlich im September gegen das geplante Kohlekraftwerk Einspruch erheben. Mannheimer sollten nämlich wissen, dass der Neubau dort kein Ersatz ist, sondern die Kohleverbrennung um etwa 50 Prozent aufstockt. Mannheimer sollten erfahren, dass weder Markt noch Emissionshandel in Mannheim im Moment ein Kohlekraftwerk verhindern werden (nein-zu-Block9.de). Sollte ich im Urlaub ein langes, kompliziertes Stück schreiben zu den Problemen des Strommarkts im Allgemeinen und des Emissionshandels im Besonderen? Ach, nö. Ich hatte doch Solarferien. Lieber reiste ich in den mediterranen Süden nach Freiburg im Breisgau. Lieber wohnte ich begeistert Probe im Nirwana der solaren Effizienz im Stadtviertel Vauban. Lieber sang ich eines schönen Abends Ökosexlieder vor duftem Freiburger Publikum und besuchte mit der Seilbahn unser Windrad auf dem Schauinsland. Ohne Übertreibung: Es stand da auf dem Berg in vollendeter Schönheit und lud meine Batterien. Ökosexferien eben.
Fragen zur Sonne? kolumne@taz.de Morgen: Josef Winkler in der ZEITSCHLEIFE
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