Kolumne Ökosex: Angefixt im Autohaus
Die Abwrackprämie gibt es nicht für Fahrräder. Ist das logisch, oder Zeichen einer mentalen Krise?
Martin Unfried, 41, arbeitet als Experte für europäische Umweltpolitik in Maastricht. Er liebt die solare Effizienzrevolution, kauft sich hemmungslos Klimaschutzprodukte und will damit bis 2012 raus sein aus der fossilen Welt. Er singt auch bei Ökosex, der ersten Kolumnenband der Welt.
Ja, schon wieder. Abwrackprämie. Sie lässt mich nicht los, denn die passt so gut zum Krisenkarneval.
"Jo, weißt du, warum die Merkel Ihren Neuminister, den Guttenberg erst gar net gewollt hat?" "Naa, da hob I keine Ahnung. Warum?
"Ja, weil sie für den Glos nämlich keine 2.500 Euro Abwrackprämie kassieren konnde!"
"Wieso denn des net? Der war doch laut schreibender Zunft eh schon Schrodd?"
"Grade drum. Der wollt mit seinem Gesicht nicht mehr in die Presse."
Helau, ihr taz-LeserInnen. Der oben stehende Abwrackprämienwitz ist der Beginn einer tollen Serie, die in der nächsten Woche ganz Deutschland überschwemmt. Dahinter steckt die Idee, dem politischen Wahnsinn in Deutschland die Maske vom Gesicht zu reißen und die Fratze der Umweltvernichtung zu entblößen. Bitte verwenden sie diesen Schenkelklopfer des guten Ökotainments, wann immer es geht. Dann kommen Sie in die dufte subversive Stimmung, in der wir schon seit Tagen sind. Nie amüsiert man sich ja besser als in Krisenzeiten. Und es ist offensichtlich, dass die nachhaltige Entwicklung, die solare Effizienzrevolution und der gesunde Menschenverstand in einer tiefen Krise stecken. Stichwort Abwrackprämie.
Ich kenne bereits vier sogenannte Bekannte, die dem Ruf des Autohauses erlegen sind. Diese vermeintlichen Krisengewinnler, sie sind in Wahrheit tragische Marionetten des großen Dealers Staat, der sie schamlos angefixt hat. Verblendet von umgerechnet lächerlichen 5.000 DM suchen sie ihr Unglück im Neuwagenkauf. Fröhlich werden sie ihr letztes Geld in Stahl und Gummi versenken, um in wenigen Jahren mit weniger als Nichts dazustehen.
Sie merken, die Abwrackprämie tut der Gesellschaft nicht gut, mir schon. Ich sehe klarer und komme mit vielen netten Leuten in Kontakt. So spielte mir ein Informant ein geheimes Schreiben zu. Er hat bei der Bafa, da ist die Abwrackbehörde, angefragt, ob er für die Verschrottung seines alten Fahrrades auch eine Abwrackprämie bekommen und damit ein neues finanzieren könne. Da hat ein Bundesministerium pflichtbewusst zurückgeschrieben (Schreiben liegt ökosex vor), dass das eben nicht gehe. Die Abwrackprämie sei ja eine Umweltprämie und gelte nicht für Fahrräder, sondern nur für Autos. Das finde ich nicht nur zum Schreien komisch, sondern auch logisch. Denn ein Fahrrad hält ja auch die Euro-4-Norm nicht ein, deshalb hat ein neues Fahrrad ja auch gar keinen Umwelteffekt. Das ist bei den Umweltschutzprodukten anders, die der bewundernswert erfolgreiche Herr Wissmann vom Verband der Automobilindustrie repräsentiert. Deshalb brummt die Autobranche ja auch wie ein Bär, also wenigsten diese und nächste Woche. Und das gilt in diesen Tagen als gut, obwohl es für die nachhaltige Entwicklung eher suboptimal ist. Ich habe in den letzten Tagen auch mit vielen umweltfreundlichen Fahrzeugherstellern telefoniert von Twike, Cityel, Vectrix und mit den Carsharingleuten. Die Helden der klimafreundlichen Mobilität sind ein bisschen irritiert. Denn Elektro- und Effizienzchampions kriegen ja keine Abwrackprämie und können darüber nur bedingt lachen. Die haben es jetzt nämlich mit mental zerrütteten Kunden zu tun, die an nix anderes als an 2.500 Euro denken. Aber aus Sicht der Bundesregierung ist das logisch. Die Produkte der Vorbildunternehmen sind ja bereits umweltfreundlich. Was soll man die dann eigentlich noch fördern?
Das sieht der Verband der Elektrosolarmobile in Deutschland nicht ganz so. Die Bundesregierung hat ja noch vor kurzem eine tolle Strategie zur Elektromobilität vorgestellt. Und auch hier bereits Geld verteilt. An wen? An Volkswagen beispielsweise. Wenn das kein Brüller ist. Wussten Sie, dass die großen Energiekonzerne in Deutschland Geld aus dem Emissionshandel bekommen werden, um neue Kohlekraftwerke zu bauen? Das ist so eine Art Abwrackprämie für alte CO2-Schleudern. Der Wahnsinn regiert, ich fürchte, auch ohne Glos.
MARTIN UNFRIED
ÖKOSEXAuch in der Krise? kolumne@taz.de Montag: Martin Reichert über LANDMÄNNER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Problematischer Vorstoß der CDU
Stigma statt Sicherheit
Musks AfD-Wahlempfehlung in der „Welt“
Rocky Horror Springer Show
Kleinparteien vor der Bundestagswahl
Volt setzt auf die U30
Reichtum in Deutschland
Geldvermögen auf 9,3 Billionen Euro gestiegen
Silvester in Berlin
Kein Ärger in Verbotszonen
Willkommenskultur in Deutschland
Gekommen, um zu bleiben?