Kolumne Märchen: Der Troll und die Kühlschränke
Es kann die gutherzigste Maid nicht in Frieden leben, wenn ein böser Geist sie verfolgt
Vor vielen, vielen Jahren, als Märchen noch die Wahrheit waren, da war einmal eine gutherzige Maid, die hatte jedermann lieb, der sie nur ansah. Sie lebte in einem fernen Königreich namens Nordrhein-Westfalen und war schön und fleißig und so sehr bescheiden, dass sie ihren Namen sicher nicht genannt wissen wollte. Nennen wir sie also Corinna S.
Eines Tages sprach die liebe Mutter zu ihr: "Komm, Corinna, hier hast du ein monatliches Taschengeld, ein Regal und einen Kühlschrank, nun ziehe damit in ein billiges Zimmerchen, nimm ein sinnloses Studium auf und durchfeiere die Nächte, wie es sich für ein braves Mädchen geziemt." Und das Mädchen erwiderte: "Ich will schon alles gut machen, wie du es sagst."
So lebte Corinna S. ein Weilchen glücklich und zufrieden und so hätte es bleiben können bis zum Sanktnimmerleinstag, wenn da nicht ein böser, unsichtbarer Troll gewesen wäre, der es sich fest in seinen Trollkopf gesetzt hatte, dem schönen Kind das Leben schwer zu machen.
Und was für einen perfiden Plan hatte er sich ausgedacht, der böse, böse Troll: Eines Nachts, als Corinna S. tief und zufrieden schlummerte, da schlich er sich heran an den Kühlschrank, der Troll, machte ein paar Handgriffe und mit einem heiseren Kichern verschwand er wieder in das Dunkel, aus dem er zuvor aufgetaucht war. Das war ein Heulen und Zähneknirschen am nächsten Morgen, als Corinna S. ihren lieben alten Kühlschrank tot und ausgelaufen in der Zimmerecke stehen sah. Nichts half, jeder Wiederbelebungsversuch scheiterte, der alte Knabe war hinüber. Nach einer züchtigen Trauerzeit sprach Corinna S. zu sich: "Ei, es nutzt ja nichts, ein neuer Kühlschrank muss schon her, denn ich mag meine Milch lieber kalt als warm trinken, und auch das Capri-Eis schmeckt gefroren besser denn flüssig."
Und so kam, was kommen musste, der gebrauchte Kühlschrank eines Onkels wurde geliefert, und weil Corinna S. unter einer angeborenen Kühlschrankentsorgungs-Schwäche litt, für die sie gar nichts konnte, drum also wurde der neue Kühlschrank kurzerhand auf den alten gestellt und die Welt war wieder in Ordnung. Doch der böse Troll hatte nur auf den neuen Kühlschrank gewartet. Und so dauerte es nicht lange, bis er des Nachts wieder hereinschlich und auch dem neuen, eiskalten Mitbewohner das Lebenslicht auspustete. Und dieses Spiels wurde der Troll nicht müde - kaum hatte Corinna S. wieder irgendwo einen funktionstüchtigen Kühlschrank aufgetrieben, kam der Troll herbeigelaufen und machte ihn kaputt.
Als es endlich so weit war, dass Corinna S. mit einer stolzen Sammlung von sieben kaputten Kühlschränken prahlen konnte, da wurde es ihr zu eng in dem Zimmerchen und sie beschloss, dem Troll zu weichen und den Wohnraum freizugeben.
Viele Jahre gingen ins Land und Corinna S. hatte den bösen Troll schon beinahe vergessen. Sie lebte glücklich und zufrieden, und ihr Kühlschrank erfreute sich bester Gesundheit. Der Troll aber, dessen einziges Vergnügen es war, Corinna S. zu piesacken, der hatte sie all die Jahre gesucht, war durch die Welt gereist, hatte hinter jeden Busch geguckt und alle Städte durchsucht - bis er sie endlich gefunden hatte. Mit Kühlschränken gibt er sich heute aber längst nicht mehr zufrieden. Er schleicht nachts wieder heiser kichernd herein. Dann kippt er klebrige Flüssigkeiten in die Tastaturen der Computer und nagt an den Festplatten der Rechner. Selbst eigens eingeflogene Computerspezialisten müssen vor dem Troll kapitulieren und all die wunderbaren, luziden Romane, Theaterstücke, Novellen und Gedichte, die in mittlerweile acht zerstörten Computern, welche im Schlafzimmer der Geplagten ihre letzte Ruhe gefunden haben, lagern, all diese Perlen der deutschen Literatur werden nie das Licht der Welt erblicken. Die kaputten Tastaturen stapeln sich mittlerweile bis unter die Decke und Corinna S. hat sich in ihr Schicksal ergeben.
Und wenn sie den bösen, bösen Troll nicht endlich irgendwie loswird, dann quält er sie auch weiter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative