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Kolumne KonversationUnd jeder kennt eine Laus

Kolumne
von Natalie Tenberg

Jahre meines Lebens habe ich verbracht, ohne mir jemals Gedanken über diese perfiden kleinen Viecher machen zu müssen.

M eine Tochter hat sich gerade am Kopf gekratzt. Anderen Menschen wäre diese Geste vielleicht gar nicht aufgefallen, bei mir aber knallt sofort alles durch, wenn ich so etwas sehe. Das liegt nicht daran, dass ich grundsätzlich dagegen bin, wenn sich Dreijährige ihre Finger in die Haare stecken. Gibt Gott weiß Schlimmeres. Vielmehr habe ich sofort Panik, sie könnten uns erwischt haben: die Läuse.

Jahre meines Lebens habe ich verbracht, ohne mir jemals Gedanken über diese perfiden kleinen Viecher machen zu müssen. Ich kannte niemanden, der sie hatte, vor allem aber kannte ich niemanden, der darüber sprach. Ein Kind und sehr viel Aufklärung später weiß ich nun: Irgendwann kriegen sie einen doch, und anstatt still und heimlich den Nissenkamm durchs lange Haar zu ziehen, muss man heute Tante, Oma, Schwager und Kindergarten Bescheid sagen, dass man die Sau ist, die alle anderen in schiere Aufregung versetzt.

Heute nämlich darf sich mit Läusen niemand mehr ins stille Kämmerlein verziehen, sondern muss reden, reden, reden. Die anderen, also alle, die mit einem selbst Kontakt hatten, müssen selbstverständlich auch darüber reden, vor allem aber ihren eigenen Kindern erklären, was die Läuse sind, ohne irgendjemanden zu stigmatisieren. Aber: Wie soll das gutgehen?

Bild: taz

Natalie Tenberg ist Redakteurin im Ressort tazzwei

Kinder verstehen schon sehr gut, dass die Tiere auf dem Kopf etwas mit den Köpfen anderer zu tun haben. Und wenn dann auch noch alle lieben Stofftiere und Kuscheltücher auf dem Balkon verschwinden, um dort tagelang tiefgekühlt zu werden, wissen selbst sie, dass das irgendwie mit dem Besuch von gestern zusammenhängt. Ganze Kindergärten befinden sich durch die neue Kommunikationsbereitschaft zum Thema Läuse in ständiger Alarmbereitschaft.

Im letzten Jahr allein habe ich mindestens drei Nächte wachgelegen mit der bangen Frage, ob ich nun verlaust bin oder nicht. War ich dann wirklich nicht, die ganze Familie nicht. Haben wir also keinen Schaden erlitten? Doch! Man muss die Läuse gar nicht selber spazieren führen, um unter akuten Juck- und Kratzattacken zu leiden.

Man muss nur jemanden kennen, der jemanden kennt, der jemanden kennt, der sie hatte. Das stößt dann nämlich ein Telefondomino von besorgten Eltern an, die sich alle gegenseitig über den Ungezieferkontakt informieren. Und über sechs Ecken kennt jeder eine Laus, und so findet es sich selbst mit Menschen, mit denen man sonst nichts gemeinsam hat, ein Thema, über das man sich gemeinsam erregen kann.

Leider ohne Lösung, weil die meisten Menschen ja gar keine Ahnung haben, wie Läuse wirklich aussehen. Ich auch nicht. Denn so geht das natürlich nicht, ein Tabu einfach ersatzlos abzuschaffen und die Leute dann in der Kälte stehen zu lassen.

Deswegen fordere ich, dass jeder Apotheker verpflichtet sein soll, verzweifelten Kunden nicht nur das entsprechende Shampoo zu verkaufen, sondern auch Gewissheit zu verschaffen. Läuse: ja oder nein? Oder die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung könnte kleine Buden in den Fußgängerzonen des Landes aufstellen, in denen man kurz auf Nachfrage untersucht wird. Vielleicht entwickelt aber auch jemand ein App fürs iPhone, mit der man sich schnell und unkompliziert eine Diagnose erstellen kann.

Juckt es sie nun am Kopf? Vor allem im Bereich der Schläfen? Na? Rufen Sie mich bitte nicht an. Und auch niemanden, den ich in den letzten vier Wochen gesehen habe. Lassen Sie mich bitte in Ruhe schlafen. So, und jetzt muss ich mal schauen, was mit dem Kind ist. Weshalb es sich noch immer am Kopf kratzt.

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2 Kommentare

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  • T
    tazitus

    "Vielleicht entwickelt aber auch jemand ein App fürs iPhone, mit der man sich schnell und unkompliziert eine Diagnose erstellen kann. "... (ein App, mit dem oder eine App, mit der, bitte)

     

    Oder Sie lassen sich am Flughafen scannen. Die werden demnächst auch noch 10 Euro Praxisgebühr kassieren und entsprechende Überweisungen zum Facharzt ausstellen - nach dem Motto: "Gehn Sie mal zum Arzt. Sie haben einen Schatten...(auf der Lunge)."

     

    P.S.: Die häufige indirekte Schleichwerbung für Apfelprodukte im redaktionellen Teil der taz geht mir auf den Geist.

  • A
    anke

    Die Sätze, die Sie da schreiben, sehr geehrte Frau Tenberg, funktionieren auch mit Wanzen. Jedenfalls haben sie das. Bis vor 20 Jahren und in der DDR. Und vielleicht werden sie es wieder tun. In 20 Jahren oder früher. Im islamismusbedrohten Deutschland und/oder anderswo. Wanzen wird es vermutlich noch mindestens so lange geben, wie Läuse. Vielleicht sollte ihr Kind das Kratzen also gar nicht erst abgewöhnt bekommen. Und schließlich: Es gibt ja auch schlimmeres...