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Kolumne Knapp überm BoulevardDas griechische Paradoxon

Isolde Charim
Kolumne
von Isolde Charim

Kann wirklich nur die „Nea Dimokratia“ Griechenland retten? Die Griechen können nur an den Euro glauben, weil sie die linke Syriza gewählt haben.

B ereits vor den griechischen Wahlen galt es als ausgemacht, dass nur die Nea Dimokratia den Euro retten könne. Wenn er denn nun „gerettet“ und das Drohszenario entschärft wurde, lag das tatsächlich nur am Wahlsieg der griechischen Konservativen? Man merkt der Frage die Skepsis an.

Ulrike Herrmann schrieb kürzlich in einem sehr schönen Kommentar in der taz, Geld sei nur das, was als Geld akzeptiert werde, Geld sei eine „soziale Konstruktion“. Deshalb brauche es Vertrauen: Nur wenn man einer Währung vertraue, könne diese funktionieren. Das mit dem Vertrauen ist aber eine vertrackte Sache. Da stellt sich die Frage: Wer soll denn Vertrauen in den Euro haben, wessen Vertrauen bedarf er: jenem der Märkte oder jenem der Bürger, etwa der Griechen? Das ist nicht dasselbe.

Es ist in einem gewissen Sinne sogar das Gegenteil. Denn die Finanzmärkte glauben (und das muss man bekanntlich nicht in Anführungszeichen setzen!) an die europäische Währung, wenn diese eine Disziplinarinstitution ist – ein Medium zur Disziplinierung von Volkswirtschaften. Damit aber die Bürger an den Euro glauben, darf dieser eben kein Diktat sein. Für sie kann es Vertrauen nur geben, wenn es auch Einspruch gibt.

Bild: Daniel Novotny
ISOLDE CHARIM

ist freie Publizistin und lebt in Wien.

Ein Effekt der Finanzkrise ist, dass die europäische Währung nicht mehr nur durch Vertrauen funktioniert beziehungsweise dass neu definiert wird, was Vertrauen bedeutet: nicht nur Affirmation, sondern auch Einspruch, nicht nur Zustimmung, sondern auch Skepsis. Wenn Geld eine soziale Konstruktion ist, wenn Geld das Medium einer politischen Union ist – und wie sonst sollte eine Währung funktionieren? –, dann braucht es nicht nur Vertrauen, sondern auch Misstrauen. Durch dieses Paradoxon hat sich so etwas wie eine demokratische Dimension der gemeinsamen Währung eröffnet.

Demokratie sei, schrieb der bulgarische Politologe Ivan Krastev, „no satisfaction machine“ (auf Deutsch gibt es keine so prägnante Formulierung). Sie produziert nicht Zufriedenheit, sondern ist Umgang mit Unzufriedenheit. Umgelegt auf das griechische Dilemma bedeutet dies: Wenn die Nea Dimokratia massiv gewonnen hätte, wenn die Griechen also die „Wahlvorgaben“ der EU erfüllt hätten, dann hätten sie nicht mehr an den Euro als „demokratische Währung“, nicht mehr an eine demokratische Union glauben können.

Ökonomische Klugheit erfordert politische Unvernunft

Nur weil sie auch massiv Syriza gewählt haben, also jene Partei, die im Unterschied zur Nea Dimokratia nicht Träger der Marktordnung ist, sondern für den Einspruch gegen die „Wahlvorgaben“, gegen das Sparmemorandum steht, nur deshalb können sie – vielleicht – noch an den Euro glauben.

Vielleicht ist das in gewisser Weise sogar das bestmögliche Wahlergebnis in der gegebenen Situation gewesen. Klaus Hillenbrand hat – ebenfalls in der taz – darauf hingewiesen, dass absurderweise die Wahl ebenjener Partei, die Ursache der Krise ist, jetzt notwendig sei, um das Drama einer Staatspleite abzuwenden. Ökonomische Klugheit erfordert politische Unvernunft. Das widersprach all jenen, die meinten, jetzt, wo es eine tatsächliche Alternative gäbe, hat Brüssel, hat Angela Merkel, haben die Finanzmärkte den Griechen diese wirkliche Wahl genommen.

Das massive Votum für Syriza, diese 27 Prozent, hat diese zwei gegensätzlichen Positionen verbunden. Es hat etwas von der Alternative offengehalten. Und es hat gezeigt, dass der demokratische Umgang mit Unzufriedenheit nicht einfach abreagieren bedeutet. Das ist nicht einfach ein Placebo, um die Aufgebrachten ruhigzustellen. Denn das Wahlergebnis hat Syriza eine starke Position verliehen. Sie ist jetzt ein politischer Machtfaktor, über den man nicht hinweggehen kann. Immerhin.

Nea Dimokratia mag den Euro für die Märkte gerettet haben (zumindest kurzfristig), für die Bürger hat die Stärkung der Partei des Einspruchs, für die Europäer hat letztlich Syriza den Euro gerettet. Das Misstrauen hat sich in Griechenland als das neue Vertrauen in die Währung erwiesen – so lautet die paradoxe griechische Lektion.

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5 Kommentare

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  • R
    reblek

    "Wer soll denn Vertrauen in den Euro haben, wessen Vertrauen bedarf er: jenem der Märkte oder jenem der Bürger..." - Folgt dem Genitiv der Dativ in Wien oder in Berlin?

  • D
    Detlev

    Es geht weniger um Vertrauen in die Währung, als darum, dass Griechenland bislang keine Möglichkeit hat, seine Schulden abzubauen. Und das hat damit zu tun, dass Griechenland seit ein paar Jahren eine schrumpfende Wirtschaft hat und bislang auch nicht klar ist, wann die Kehrtwende erreicht ist.

     

    Der Economist ging für 2012 noch von M i n u s 7,5 Prozent aus. Das sind Dimensionen, die höchstens nach Mega-Naturkatastrophen oder Kridgen entstehen und deswegen mag der griechische Wähler sein Votum dieses Mal bei der Nea Dimokratia abgegeben haben - damit ist noch längst nicht die Talfahrt aufgehalten oder ein echter Wachstumsimpuls geschafft. Und genau dieses Problem wird auch dieser Regierung zusetzen, zumal Griechenland bislang eine Demokratie ist und die Bürger durchaus mit Demonstrationen und Streiks diese Regierung durchrütteln können. Bislang hat die Partei den Druck der Strasse nicht zu spüren bekommen, das könnte sich aber ändern, wenn der wirtschaftliche Niedergang weitergeht und der Staat andererseits hart kontrolliert und den inzwischen verarmten Griechen ihre kleinen, illegalen Nieschen schließt.

     

    Andererseits ist mir bislang nicht klar geworden, wie Griechenland höhere Exporteinnahmen erzielen will, wenn die Produkte mit anderen süd-europäischen Ländern austauschbar sind und echte Exportprodukte mit großer Profitabilität nicht dabei sind. Wenn Griechenland seine Olivenölle um 20 oder 40 Prozent im Preis reduziert, machen das die Spanier auch und eine Familie in der Lüneburger Heide kauft vielleicht immer noch Rapsöl und lässt die griechischen Produkte, Olivenöl und Oliven, links liegen.

     

    Worauf ich hinaus will: Ohne Wachstum kommt dieses Land nicht aus der Miesere und das bedeutet, dass Merkel und Schäuble ihre Position überdenken.

  • EW
    einer weiteren Isolde

    jo, das stimmt.

  • I
    ion

    Frau Charim, wie wär ’s – anstelle Ihres eloquent orakelnden Bemühens um Konstruktion eines "Paradoxons", wo keines zu konstatieren ist, sofern Sie sich um jene Rhetorische Stilfigur bemüht haben sollten, die in scheinbaren Widersprüchen eine tiefere Wahrheit veranschaulichen will – hiermit (, oder dem Anlass angemessen simpel formuliert: einfach mal die Kirche im Dorf lassen):

     

    These 1: Die Griechen sind seit sukzessiv erweitertem EU-Beitritt durch jahrzehntelanges, gemeinschaftliches Üben im systematischen Hintertreiben des Aufbaus eines zeitgenössischen Ansprüchen, modernen Kriterien genügenden und somit zumindest halbwegs funktionstüchtigen Staates inzwischen so geübt darin, andere über den Tisch zu ziehen, dass sie – und derlei wäre eher nur noch metaphysisch oder durch den Glauben an das Orthodoxe Christentum, also: staatsreligiös erklärbar – inzwischen dazu imstande sind, ohne offene Verabredung so zu 'wählen', dass das seit Jahren gemeinschaftlich betriebene 'Spiel' der Ausbeutung anderer (EU-Staaten) und aktueller angereichert durch das Gadget der indirekten Erpressung fortgesetzt werden kann, ohne dumm aufzufallen, sodass selbst aus den Reihen der Gebeutelten tags darauf noch erleichtert Headlines verfasst werden, wie z.B.: (taz vom 17.06.2012) «Europa vielleicht gerettet».

     

    These 2: Die Griechen haben so gewählt, weil sie aus tiefer Selbsterkenntnis wissen(!), dass sie auch morgen (wirtschaftlich) nichts mehr auf ihrer Halbinsel mit Archipel auf die Reihe kriegen (wollen), zumal ihre gemästeten Vettern (oder: Gewinner des Pyramidenspiels) inzwischen Jahre Zeit hatten, alle größeren Euro-Geldsäcke ausser Landes zu schleppen – wodurch n.a. in D und anderen EU-Ländern inzwischen die Immobilienpreise in die Höhe schießen (Danke!) – und die vorgebliche Wahl-Alternative: das radikale Linksbündnis Partei Syrizia, ausser Massen-Verelendung einbrächte, innerhalb kürzester Frist aus der Europäischen Währungsunion zu fliegen?

     

    In short-s: Das griechische Wahlergebnis ist kein "Paradoxon", sondern für (Rest-)Europa ein Desaster, da es in Griechenland ohnhin zu keiner längerwährend stabilen 'Regierung' – wenn diese Bezeichnung für das in Athen zu Konzidierende überhaupt angebracht wäre – führte und somit 'nur' eine (leider zudem von aussenstehenden Interessensgruppen gestützte) Konkursverschleppung vorliegt, die die anderen EU-Bürger sehr-sehr-und-jetzt-noch-teurer zu stehen kommen wird; Wenn nicht genau seit dem 17. Juni d.J. auch der endgültige Schritt zum baldigen Ende des Euros und Europas insgesamt getan wurde – ich merke mir hierfür schon mal den Ochi-Tag vor.

     

    Pinocchios’ Nase wächst, wenn er lügt;

    Aber was passiert, wenn Pinocchio sagt: „meine Nase wächst jetzt“?

     

    Griechenland, 'die Wiege Europas':

    From cradle to grave, die Letzte macht das Licht aus.

  • K
    Kassandra

    Abgesehen davon, daß scheinbar völlig außer Frage steht, daß die Wahlen nicht gefälscht wurden - in Griechenland ist doch alles möglich - ein völliges Mißverständnis der Situation:

    1.) Bei einer Wahlbeteiligung von 62% und ungültigen Stimmen bis zu 15% entscheiden weiterhin die Strasse und die Betriebe im Herbst; SYRIZA selbst war in dieser Bewegung bisher nur marginal wie hierzulande die DKP und genauso "radikal" ist sie auch; sonst wäre sie längst verboten.

    2.) Geht es immer noch darum, Hellas aus dem Euro raus zu drängen und mit den geparkten Geldern der griechischen Eliten auf Zypern und in der Schweiz (inzwischen Singapur) kann man dann ein veritables Wirtschaftswunder mit Chinaarbeitsplätzen verwirklichen. Die Gewinnspanne geht dann bis zu 80% mit Drachma gegen Euro und da die legale Bevölkerung Griechenlands dann längst ausgewandert ist - nach Amerika und Australien auch noch dreisterweise ohne die "Ureinwohner" nach Visa zu fragen - legalisiert man die ganzen "Illegalen", steckt sie in die Fabriken und hetzt den, auch weiterhin brav von den Rassisten der Festung Europa und ihren Papageien aus dem Propagandaministerium ignorierten, Rassismus mit derzeit täglich Dutzenden Überfällen weiter an.