piwik no script img

Kolumne KatastrophenKaffee mit toter Katze

Blöd, wenn man im Traum dauernd arbeiten muss - und kein verdammtes Traumbuch das deuten kann.

Träume sind dazu da, etwas zu erleben. Man kann als Superheld herumfliegen, mit Tieren sprechen oder lange Gespräche mit verstorbenen Verwandten führen. Eine tolle Sache. Nach einem Kinobesuch, es gab "No Country for Old Men", war ich kürzlich eine ganze Nacht lang ein Typ, der mit Geldkoffer und abgesägter Schrotflinte auf der Flucht ist. Super Traum.

Bild: sandra böhme

Kirsten Reinhardt (30) arbeitet in der Online-Redaktion der taz.

Doch in letzter Zeit mache ich mir Sorgen. Große. Sollte die Nacht doch eine Zeit sein, in der man sich von den Strapazen des Tages erholt (ja, das geht auch bei Actionfilmträumen), finde ich mich immer öfter in einer achtstündigen Arbeitssituation wieder.

Bis Freud kam und die ganze Traumdeuterei psychologisierte, war das Traumbuch eines griechischen Populärwissenschaftlers aus dem zweiten Jahrhundert ungemein beliebt. Bei Artemidor von Daldis haben Träume ganz praktische Bedeutungen: "Träumt eine Frau, einen Bart zu haben, so wird sie, falls sie verwitwet ist, wieder heiraten; hat sie einen Mann, wird sie sich von ihm trennen." Oder: "Der Maulwurf bedeutet wegen seines traurigen Loses einen blinden Menschen, ferner eine vergebliche Anstrengung, weil das Tier sich vergeblich abmüht." Träumte ich von Bärten oder Maulwürfen - alles wäre bestens. Doch über das, was ich in letzter Zeit träume, steht nichts im Traumbuch des Artemidor.

Ich stehe an der Kaffeemaschine. Ein riesiges, chromglänzendes Ding, an dem ich vor ein paar Jahren meine Miete verdiente. In einem kleinen Kaffee-to-go-Laden in Prenzlauer Berg. Meine Tätigkeit: mit einer kraftvollen Handbewegung den Espressoträger aus der Maschine drehen, den bereits verwendeten Espressomatsch in die Schublade für den bereits verwendeten Espressomatsch klopfen, frisches Kaffeemehl in den Träger mahlen, den Träger zurück in die Maschine drehen und anschalten. In der Zeit, die der Kaffee durchläuft: Milch aufschäumen. Beides zusammenschütten.

Gern mischte sich damals die Besitzerin unter die Schlange stehenden Kunden. Um uns, die Kaffeemacherinnen, zu überprüfen. Eine Frau mit Mundwinkeln bis zum Erdboden und einem Gesichtsausdruck, als hätte sie ein Stück tote Katze unter der Nase kleben. Sie bestellte stets Cappuccino, mit einem lauernden Gesichtsausdruck. Unter ihrem Blick wurde die Hand, die den Espressoträger aus seiner Fassung drehte, schwitzig. Jetzt bloooß nicht zu wenig Espresso! Oder zu viel! Bloooß die Milch nicht zu heiß schäumen. Kurz: Das Ganze war kein Spaß.

Dazu kamen noch die impertinenten Prenzlauer-Berg-Kunden, und ich war heilfroh, als ich mir in einem lauten Streit mit der Chefin mitten in der Schicht die Schürze herunterriss und für immer aus dem Laden verschwand.

Bis jetzt. Denn jede Nacht stehe ich an der Kaffeemaschine. Draußen ist es noch dunkel, doch die kleinen Lampen über dem Tresen brennen und die Glastür war wohl nicht abgeschlossen, denn Kunden betreten den Laden. Viele. Eine Schlange bildet sich, die Menschen verlangen ungeduldig nach Kaffee. Latte macchiato mit Cinnamon to go. Ich sage: "Wir haben geschlossen. Seht ihr nicht, dass ich schlafe! Es ist nicht offen." Sie kommen näher an den Tresen heran und verlangen erbarmungslos: "Wieso?! Du stehst doch da an der Maschine, dann kannst du uns auch Kaffee machen."

In Ermangelung guter Gegenargumente führe ich die Kaffeemachbewegungen aus. Immer wieder und wieder. Die Schlange wird länger, und da ich permanent neue Latti macchiati, Milchkaffees, verlängerten Espresso und Capuccino zubereite, habe ich keine Zeit, den Laden zu schließen. Immer mehr Leute kommen, bis schließlich der Wecker klingelt und ich mich keine Sekunde lang erholt habe.

Arbeit kommt in meinem Traumbuch nicht vor. Anemonen findet man da, Aussatz und "ausziehen, sich nackt" - aber nichts davon erscheint oder passiert mir nächtens. Ich bin verzweifelt. Vielleicht sollte ich doch den Freud konsultieren - jetzt habe ich auch schon Tagträume. Da kommen sie wieder …

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!