Kolumne Idole: Der Stärkere ist der König
Das Autofahrer-Ich einiger Menschen lässt sich nur schwer mit dem Fußgänger-Ich verbinden. Bekenntnisse einer Motor-Rassistin.
A rschloch, Wichser, Mittelfinger! Warum nur verlieren Menschen stante pede ihre gute Erziehung, sobald sie auf dem Fahrersitz eines Automobils sitzen? So schnell, wie hier die Contenance verloren, wie einem harmlosen Langsamfahrer oder Fußgänger, der über die Straße rennt, eine Todesdrohung ans Blech beziehungsweise an den Kopf geknallt wird, habe ich das nicht einmal bei dem Türsteher in Hamburg, St. Pauli erlebt, der von einer Horde Münchner Jurastudenten auf Junggesellenabschied provoziert wurde. ("Servus, du Fischkopp!") Es gibt einfach nichts Krasseres als die Wandlung des Fußgänger-Ichs zu einem Autofahrer-Ich.
Neulich stand ich an einer kaputten Ampel. Kein Ampelmännchen wies mehr den Weg und ein Überqueren schien unmöglich. Die Straße war schmal, eine Spur bloß. Aber doch so stetig befahren, dass, wollte man den Weg wagen, schon das nächste Auto nahte. Sie glitten vorbei, denn im Straßenverkehr ist der Stärkere König.
Ein rundes, lilafarbenes Gefährt kam in Sichtweite und beleidigte mein ästhetisches Empfinden. Träge glitt der Wagen an die Ampel heran und blieb - fast - stehen. Die Fahrerin glotzte stumpf herüber. Ich stierte zurück, nach Kräften bemüht, wie ein menschliches Fragezeichen bzw. Anklagezeichen auszusehen (Augenbrauen gen Haaransatz, Schultern an die Ohrläppchen, Hals 90 Grad nach vorn). Das lila Auto fuhr langsam an mir vorbei und zwängte sich dann umständlich in eine Parklücke direkt hinter der Ampel.
Kirsten Reinhardt ist taz.de-Redakteurin.
Ein paar Atemzüge später stand die Fahrerin des lila Gefährts neben mir. Fachmännisch peilte sie die Lage und verkündete: "Die Ampel ist kaputt." Ich schwieg. Die Autos zischten an uns vorbei. Sie sagte anklagend: "Da hält ja auch keiner an."
Was hätten Sie getan? Ihr die Fresse poliert? Hysterisch gelacht? Ich entschied mich gegen beides - zu Ersterem sehe ich mich leider, leider nicht in der Lage, Zweites bringt auch nicht gerade viel - und sagte in dem unfreundlichstem Ton, zu dem ich fähig bin: "Sie hätten ja auch anhalten können." Verständnislos blicke sie mich an. Ich: "Sie sind eben mit dem Auto an mir vorbeigefahren. Sie hätten anhalten können."
Man sah förmlich die 40-Watt-Glühbirne über ihrem Kopf angehen. Irgendwie gelang es ihr, ihr Fußgänger-Ich mit dem Autofahrer-Ich zusammenzubringen. "Ja," sagte sie, ohne eine Spur Verlegenheit, "ich habe ja noch überlegt, aber …" Der Rest des Satzes ging verloren, denn ein Autofahrer hielt und ließ mich über die Straße.
Nichts gegen Autos generell. Natürlich sind sie gelegentlich praktisch, und natürlich ist es toll, auf der Autobahn des Nachts gen Portugal zu düsen und im Radio kommt Johnny Cash. Natürlich gibt es wunderschöne Modelle mit cremefarbenen Lederbezügen, mit Revolverschaltung, schnurrendem Motor und einem Lack, den man streicheln möchte. Natürlich geht nichts in der Welt über die sanfte Schwingung des Kotflügels der Déesse (Göttin) von Citroën. Aber.
Aber dieses "Aber" ist groß. Es ist größer. Es umfasst die absolute Fixierung der Gesellschaft auf das Automobil, für das die "Abwrackprämie" nur eines der Symptome ist. Wo in Städten aus offensichtlichen Gründen der verletzliche Fußgänger geschützt werden könnte, ist Platz für Automobile, Automobile und Automobile - das Idol der Massen und Herz der deutschen Wirtschaft. Wo am Sonntagabend um 20.15 Uhr in der ARD Mordfälle gelöst werden sollten, gibt es andauernd Großaufnahmen von den neuesten Modellen bekannter Automobilhersteller. Ich könnte kotzen. Nennen Sie mich eine Motor-Rassistin, aber so sehe ich die Sache nun einmal.
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