Kolumne Hessen vorn: Die erste linksradikale Aristokratie
Wie aus Krankfurt Mainhattan wird und der frühere SDS-Vorsitzende endlich seine Goetheplakette bekommt.
Als die Frankfurter Spontilinke um Daniel Cohn-Bendit und Joschka Fischer in den späten 70er-Jahren ergrünt und den langen Weg zur Macht antritt, da kommt auch die Bezeichnung Krankfurt aus der Mode. Der neue Blick auf die Stadt ist ein wichtiger Faktor im Anpassungsprozess. Die Metropole, ehedem bekämpft als kapitalistischer Moloch, wird umgedeutet zum positiven Erfahrungs- und Erlebnisraum. Aus Krankfurt wird: Mainhattan.
Zum Trüffelschwein der Transformation schwingt sich der spätere "Trendforscher" Matthias Horx auf. Im Pflasterstrand schreibt er seine "Symphonie einer Großstadt", im Pluralis Majestatis: "Wir hassen und lieben diese Stadt. Wir werden von ihr kaputtgemacht und erweitern durch sie unseren Horizont. Sie ist Lust und Spannung, aber auch Leben als Zwang, Verfeinerung und Entnervung, Abenteuer und Angst, Rausch und Verrohung - in dieser Riesenstadt begegnen wir der Psyche unsere Epoche."
Riesenstadt? Psyche unserer Epoche? Rausch? Von Horx stammt auch die Beobachtung, dass sich die Frankfurter Spontiszene in den Achtzigern zu einer "linksradikalen Neu-Aristokratie" gewandelt habe. Na ja, wenn man das "linksradikal" streicht. Sponti-Adel sitzt im Römer, hier regiert Schwarz-Grün. Zwar palavern sie nicht mehr von Mainhattan, aber in puncto Lonely at the top fühlen sie sich ganz nuyorikanisch.
Wie die Welthauptstadt zu den Quäker- und Mormonenstaaten im mentalen mittleren Westen, so verhält sich Frankfurt zu Wetterau, Rothaargebirge und Knüll. Urbane Oase in provinzieller Wüste. So sieht man sich gern bei den grünen Metropolitanisten und fragt sich bang, wie viel Wüste Roland Koch wohl zum Wählen bringt. Dass der böse MP mit seiner unappetitlichen Kampagne für dieselbe Partei wirbt, mit der man in Frankfurt koaliert, das wird bei den Grünen schon mal verdrängt.
Die Frankfurter CDU sei doch eine ganz andere Partei als die des Wiesbadener Demagogen. Nie würde sich "die nette Frau Roth" (Daniel Cohn-Bendit) am braunen Rand die Finger schmutzig machen. Und nie nähme ein Kulturdezernent wie Felix Semmelroth einen altdeutschen Anstandskatalog in die Hand. Der Literaturprofessor ist seit 1996 für die Oberbürgermeisterin tätig, zunächst als Referent, später als Büroleiter. 2006 wurde ein neuer Kulturdezernent gebraucht. Warum nicht Semmelroth? Sein damaliges Handicap: Er ist SPD-Mitglied. Seine Lösung: ein Blitz-Transfer zur CDU.
Seit Juli 2006 veredelt der sozialdemokratische Kulturdezernent Semmelroth das schwarzgrüne Bündnis mit feingeistigem Odeur. Auch zu nichtigen Anlässen brilliert er mit zitatgespickten Grußworten in Überlänge. Geschmackssicher preist er das Alterswerk des moribunden Johnny Cash. Oder die Künste eines Sängers, den er Deewitt Bauie nennt. Nebenbei sorgt er dafür, dass der OB nicht wieder so ein Fauxpas passiert wie damals mit Albert Mangelsdorff. Da hielt sie eine Preisrede auf den großen Frankfurter Saxofonisten. Mangelsdorff spielte Posaune. Ein andermal begrüßte sie Herrn Teleweit, aber das Problem dürfte Klaus Theweleit kennen. Neulich dann doch wieder.
"Sehr verehrter, lieber Herr Frank", sprach die nette Frau Roth. Die Goetheplakette sollte verliehen werden, Empfänger war der Saxofonist, pardon: Cellist Frank Wolff. Beharrlich laudationierte Frau Petra den Herrn Frank und, so fand die Frankfurter Rundschau, "setzte einen wundervollen Schlussakkord: 'Bleiben Sie unser Stadtstreicher!'"
Nun ist "Stadtstreicher" ein wenig wundervoller Rückfall ins spontisemiotische Krankfurt. Der Geehrte fühlt sich geehrt. Schließlich feiert Frank Wolff seinen 40 Jahre langen Weg vom SDS-Vorsitzenden zum Goetheplaketten-Träger. Dafür hat er sich auf Kleinkunstbühnen qualifiziert mit einem irre wagemutig grenzüberschreitenden Fiedel-Mix aus Schubert und Hendrix, irre Posen inklusive, Cocker in Woodstock: ein Dreck dagegen. Diese Show gab Herr Frank auch beim Neujahrsempfang im Römer zum Besten. Als Hauptredner hatte Frau Roth Herrn Koch eingeladen. Darüber waren die Grünen echt sauer. Blieben dem Empfang fern. Demonstrativ. Bis zur Eröffnung des Buffets.
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