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Kolumne GerüchteWeg mit dem Müll der Erwartungen

Mit 50 ist es Zeit, Ballast abzuwerfen. Wir haben dazu einen geräumigen Kipper gemietet.

A ls ich zum ersten Mal in meinem Leben im Führerhaus eines Kipplasters saß, fiel mir N. wieder ein. Sie ist Verhaltenstherapeutin in Berlin-Mitte und behandelt viele Abgestürzte aus der sogenannten Leistungselite. Das Entscheidende in der Therapie sei nicht etwa, die Leute bald wieder fit zu machen, hat mir N. mal erzählt. Es ginge vielmehr darum, den Patienten zu helfen, ihre Ansprüche an sich selbst herunterzuschrauben. Die Ansprüche, die Seele und die Wirklichkeit müssten gewissermaßen wieder zueinander finden.

"Müll entsorgen", sage ich, "das ist schon wichtig im Leben." "Genau", meint Thomas, "da ist man mit den grundlegenden Dingen in Kontakt." Er steuert den schweren gemieteten Laster, Britt ist mit dabei. Dank der alten Führerscheinklasse III kann Thomas das Riesending selbst fahren. Auf die Ladefläche haben wir eine vergammelte Kommode, Tische, Spiegel, zwei zerlegte Kleiderschränke, Teppiche, eine Waschmaschine und noch anderen Plunder gehievt. Thomas Mutter ist in ein Seniorenstift gezogen und mit ihren Restbeständen aus dem Keller befinden wir uns auf dem Weg zum Recycling Centrum Lübeck.

"Vielleicht ist das Hauptthema im Leben doch die Entlastung", philosophiert Britt, "es wollen gar nicht alle Menschen groß rauskommen. Manche wollen nur gut durchkommen. Oder entkommen." Wir hatten schon auf der Herfahrt über den Tormann Robert Enke gesprochen, der sich vom Zug totfahren ließ. "Wenn du glaubst, ein ganz anderes Selbstbild von dir transportieren zu müssen, ein größeres, und dann zunehmend merkst: es haut nicht hin. Was machst du dann?", hatte Thomas gefragt. Eine verzerrte Selbstwahrnehmung wieder zurechtzurücken, sei "ein ziemliches Stück Arbeit", hatte mir auch N. berichtet.

Bild: privat

Barbara Dribbusch ist Inlandsredakteurin der taz.

Ja, das Selbstwertproblem. Davon lebt auch die Psychoindustrie. Wer in einem Routinejob steckt, der leidet mitunter. Wer auf dem Chefsessel sitzt, hat wiederum Angst vor dem Abstieg. Ganz zu schweigen von den selbst ernannten Romanautoren, Künstlern, Filmemachern, die nur kurzzeitig oder gar nicht ihr Berufsziel erreichen. Nach meiner Beobachtung haben es gerade die Mittelschichtsabkömmlinge im Alter von um die 50 Jahren schwer, ihre Biografie zu akzeptieren. So als laste immer noch eine zu hohe Erwartung der Elterngeneration auf ihren Schultern. Wir müssen die Druckverhältnisse umkehren.

"Also ich freue mich schon aufs Kippen", sagt Britt, "das wird der Höhepunkt." Wir rumpeln durch die Einfahrt der Mülldeponie. Drei spezielle Knöpfe befinden sich hinter dem Fahrersitz. Drückt man auf den grü- nen Knopf, kippt die Ladefläche in die Schräge und der ganze Sperrmüll donnert nach hinten runter. Diesen Sound will ich hören.

"Fast eine Tonne", sagt Thomas, "so viel wird es schon sein." Wir müssen uns bei der Einfahrt auf einer in den Boden eingelassenen Plattform wiegen lassen. Der Lkw ist samt Inhalt 3,7 Tonnen schwer. Die Müllentsorger winken uns zu. Sie sind rotwangig, fröhlich, freundlich. Ist ja auch ein Outdoor-Beruf.

"Was ist schlimmer: Nicht groß sein zu können oder nicht klein sein zu dürfen?", nimmt Britt den Gesprächsfaden wieder auf. Wir können die Frage nicht beantworten, wir sind mit Kippen dran. Der Lärm ist großartig - diese Materie, die abrutscht, aufeinanderkracht und zersplittert am Boden liegt. Und das von ganz allein, nur durch die Schwerkraft. Der Typ mit dem Radlader fährt heran und schiebt alles zusammen. 700 Kilo sind wir losgeworden. "Macht 96 Euro", heißt es am Ausgang. Jetzt geht es ans Meer. Das ist versprochen.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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