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Kolumne GerüchteJim Morrison neutralisieren

Mit über 50 wieder in eine Band einsteigen? Gute Idee, eigentlich. Bloß klingen die alten Songtexte heute so seltsam.

E s gibt Worte, die verjüngen. „Jam Session“, hatte Lissy gesagt, „hättest du nicht Lust, zu unserem Kellerjubiläum zu kommen und ein bisschen mitzujammen?“ Jam session. Dschämm säschn.

Das Wort weckte Erinnerungen an unser wildes Gedudel von früher. Abende, nein Nächte hatten wir damals verbracht im schallisolierten, nahezu unbelüfteten Keller, wo unsere viertklassige Amateurband für Auftritte auf schlecht besuchten Straßenfesten probte. Natürlich war es nur dem ignoranten Musikbusiness zu verdanken, dass mein Neue-Deutsche-Welle-Stück „Auch das Mittelmaß macht Spaß“ trotz des subversiven Reims den Sprung in die Charts nicht schaffte. Ich war schon vor langer Zeit abgesprungen, doch Lissy ist all die Jahrzehnte dabeigeblieben und tritt mit ihrer gemischtgeschlechtlichen Nachspieltruppe honorarfrei auf runden Geburtstagen der höheren Altersklasse auf.

Doch auch ich suche heute neue Herausforderungen. Wenige Tage später erscheine ich im Keller, sicherheitshalber mit Noten: „Light my fire“. Zu Hause hatte ich diszipliniert das Intro des Doors-Song geübt, das Ray Manzarek über die Orgel jagte, bevor Morrison „Baby, light my fire“ röhrte.

Bild: taz
BARBARA DRIBBUSCH

ist Redakteurin im Inlandsressort der taz

Lissy setzt sich die Lesebrille auf, nimmt die Gitarre und singt mit ihrer schönen Altstimme vom Blatt: „You know that it would be untrue, you know that I would be a liar, if I was to say to you, Girl we couldn’t get much higher. Come on baby, light my fire“.

Eigentlich ein Männerlied, das fällt mir jetzt erst so richtig auf. Ich stelle mir den zugedröhnten Jim Morrison vor, der im Bett liegt und von der Frau auch noch fordert: „Light my fire“. Soll das eine Aufforderung zum Blow Job sein? „Irgendwie sexistisch“, sage ich, als Lissy geendet hat. „Du müsstest du doch eigentlich singen: Boy, we couldn’t get much higher.“ Gregor am Schlagzeug verzieht unmerklich das Gesicht. Das fällt mir auf, denn trotz seiner Wampe und Halbglatze hat er immer noch so eine Späthippieausstrahlung, die ich sympathisch finde.

Lissy ist textlich flexibel: „If I was to say to you, boy, we couldn’t get much higher. Come on baby, light my fire“. Hm. „Würde mich nicht trauen, das heute auf irgendeiner der Bühne zu singen“, meint sie danach. „Boy, we couldn’t get much higher. Na ja.“ Ihre bejahrte Truppe spielt sonst eher die Beatles nach, „Yesterday“, „Hey Jude“, solche Sachen.

„Man muss es vielleicht konzertanter singen, distanzierter“, schlägt Gregor vor. Lissy vermindert das Vibrato in ihrer Stimme: „If I was to say to you, oh, we couldn’t get much higher“. „Klingt neutraler“, sagt sie.

Neutraler! So ein Wort passt eigentlich nicht in den Übungskeller, auch nicht nach 25 Jahren.

Ich habe noch „Angie“ von den Stones mitgebracht. Die Noten und den Text habe ich ebenfalls heruntergeladen aus dem Internet. Danach ist mir auch etwas aufgefallen: Eigentlich ist das ein Song darüber, wie ein Mann einer Frau den Laufpass gibt, wobei er ziemlich feige drumherum redet. Seufz.

Auf „Angie“ hat Lissy keinen Bock.

„Versuchen wir es mit ’Twist in my sobriety‘“, schlägt sie vor. Die Noten hat sie mit. Schönes Stück. Schwieriges Stück. Viel Moll. Ich habe nie begriffen, was der Song wirklich meint. Ist aber bestimmt ein Frauenlied, irgendwie. Uff.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

6 Kommentare

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  • W
    Waage

    Wenn wir schon dabei wären:

    was haltet ihr von "Blowing in the Wind"?!?

  • T
    tazitus

    apropos neue Texte - nicht mehr ganz neu, aber

    "... wenn Du denkst, es geht nicht mehr,

    kommt von irgendwo diese Mucke her..."

    (Jan Delay "Hoffnung")

    "Dies Lied ist für die Traurigen."

    (und bei mir hilft es immer)

     

    und nochwas: Die machen einen tollen "Blowjob".

  • H
    hto

    Seltsam???

     

    Supertramp - logical song:

     

    Als ich klein war, kam mir das Leben noch schön vor - ein richtiges Wunder, alles ganz zauberhaft.

    Die Vögel in den Bäumen zwitscherten lustig vor sich hin, betrachteten mich fröhlich und verspielt.

    Aber dann schickte man mich fort und brachte mir bei, vernünftig, logisch, verantwortungsbewusst und praktisch zu sein.

    Und man zeigte mir eine Welt, in der ich mich berechenbar, sachlich, verstandesorientiert und zynisch verhalten sollte.

    Manchmal, wenn alles schläft, werden die Fragen zu drängend für ein schlichtes Gemüt wie mich.

    Kann mir bitte jemand sagen, was wir da gelernt haben?

    Ich weiß, es klingt blöd - aber sagt mir, wer ich eigentlich bin.

    Pass gut auf, was du sagst, sonst nennen sie dich einen Radikalen, einen Linken, einen Fanatiker, einen Kriminellen.

    Werde Mitglied in unserem Club, wir hätten dich lieber brauchbar, achtbar, vorzeigbar - Gemüse, sozusagen...

    Nachts, wenn alles schläft, kommen die bohrenden Fragen.

    Ich weiß, es klingt blöd - aber sagt mir doch bitte, wer ich eigentlich bin.

  • T
    tazitus

    Nachtrag: Liedertexte meinte ich.

     

    Die Texte von Barbara Dribbusch schwelgen ja zum Glück nicht immer in Nostalgie oder Melancholie.

  • T
    tazitus

    Interessant, aber:

    "Neue Texte braucht das Land."

  • V
    vic

    „Auch das Mittelmaß macht Spaß“

    Echt, der Titel wär`s wert gewesen. Schade drum.