Kolumne Fernsehen: Beschränkter Horizont
Warum berichten deutsche Medien kaum über das Ausland? Weil sie Eisbärbabys spannender finden.
Bettina Gaus ist Afrika-Kennerin, Buchautorin und politische Korrespondentin der taz
Das Jahr hat nicht gut angefangen. Jedenfalls nicht für die Leute in Kenia und auch nicht für diejenigen, die sich um diese Leute Sorgen machen. Schon jetzt steht fest, dass das Land an den Folgen der blutigen Unruhen nach den offenkundig gefälschten Präsidentschaftswahlen viele Jahre zu tragen haben wird: an der Trauer um die Toten, an den Plünderungen und Zerstörungen, am Vertrauensverlust von Investoren, an der Verbitterung, die täglich wächst. Was noch nicht feststeht: ob das Land in einen Bürgerkrieg schlittert oder ob wenigstens das noch vermieden werden kann.
Ich habe sieben Jahre in Kenia gewohnt. Es ist für mich - manchmal sind abgedroschene Formulierungen unvermeidlich, weil eben zutreffend - eine zweite Heimat. Einige der mir nächststehenden Menschen leben dort. Unvorstellbar, dass ich sie möglicherweise demnächst in Flüchtlingslagern suchen muss. Unvorstellbar. Aber nicht unwahrscheinlich.
In Tagen wie diesen hängt man am Medientropf. Übrigens auch, um die Freunde vor Ort über das zu informieren, was bei ihnen zu Hause eigentlich vorgeht. Selbst ohne eine Nachrichtensperre, wie sie in Kenia schnell verhängt worden ist, sind Leute in Krisengebieten meist schlechter unterrichtet als das unbeteiligte Publikum im Rest der Welt. Hat sich die Lage im Westen Kenias beruhigt? Werden Bauern weiterhin aus dem Rift Valley vertrieben? Ist es eigentlich sinnvoll, noch drei weitere Tankstellen in Nairobi abzuklappern - oder ist in der gesamten Hauptstadt sowieso kein frei verkäufliches Benzin mehr zu bekommen? Gibt es irgendwo einen Stimmungsbericht über den Slum Kibera? Soll man den Freunden, die unmittelbar daneben wohnen, zur Flucht raten? Wohin wendet man sich mit derlei Fragen? An die BBC, also an das Medium der ehemaligen britischen Kolonialmacht in Kenia. Wohin auch sonst? An deutsche Medien gewiss nicht.
Wenn man nicht aus bloßem Interesse heraus, sondern wegen existenzieller Bedürfnisse alle Nachrichten sammelt, die man kriegen kann, dann lernt man ganz nebenbei auch einiges über das eigene, friedliche Land. Vor allem dies: Deutsche Fernsehredakteure finden den gesamten Rest der Welt offenbar bei weitem nicht so interessant wie Deutschland. Oder zumindest glauben sie, dass das für ihr potenzielles Publikum gilt. Gestern um 12.39 Uhr deutscher Zeit liefert die BBC auf ihrer Homepage einen Hinweis auf eine aktuelle Reportage aus Kenia. Als "Top Story". Klickt man die an, dann gibt es eine Fülle weiterer Links: Augenzeugenberichte der letzten Tage. Hintergrundinformationen. Analysen.
Auf der Homepage des ZDF erfahre ich zu demselben Zeitpunkt, was Hobbyköche tun müssen, um bei "Kerner kocht" eingeladen zu werden. Wie Kreditanfragen den Schufa-Eintrag beeinflussen. Und ich lerne einiges über das Thema Organspende. Klicke ich mich zum Themenbereich Politik durch, dann geht es dort fast ausschließlich um Inlandsthemen - vom Rücktritt von Kardinal Lehmann als Vorsitzendem der Deutschen Bischofskonferenz bis hin zu der anrührenden Tatsache, dass das Eisbärbaby im Nürnberger Zoo die Augen geöffnet hat. Ausland? Ohne Fotos, ziemlich weit unten auf der Seite: Clinton und Obama glätten Wogen, Bush plant Milliarden-Waffengeschäfte mit Saudi-Arabien. Ende.
Die Blickfänger auf der Homepage der ARD: die deutsche Bahn. Der deutsche Staatshaushalt. Der deutsche Kardinal Lehmann. Die Krise in der deutschen Koalitionsregierung. Und das deutsche Wetter. Deutschland über alles - so sieht das also im elektronischen Zeitalter aus. So deprimierend und blöd wie eh und je.
Deutsche Korrespondentenberichte können mit denen der BBC übrigens durchaus mithalten. Qualitativ und sogar quantitativ. Nur eben die Internet-Auftritte ihrer Anstalten nicht. Woran liegt das? Na, egal. Hauptsache, wir bekommen einen Platz im UN-Sicherheitsrat.
Fragen zu Kenia? kolumne@taz.de Morgen: Martin Reichert über Landmänner
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