Kolumne Fernsehen: Gerne mal nach Diomede
Hat Sarah Palin schon einmal Russland gesehen? Das fragte eine kurze, aber entlarvende Reportage auf CNN.
Nichts gegen Talkshows und Interviews. Aber manchmal ist die gute, alte Reportage entlarvender als noch so scharfsinnige Analysen - oder als jede brillante Satire. Viele der großen Kabarettisten wissen das übrigens. Die wohl größte Wirkung seiner langen Laufbahn erzielte Dieter Hildebrandt gemeinsam mit Gerhard Polt und Gisela Schneeberger 1982 mit einer Sendung über den umstrittenen Rhein-Main-Donau-Kanal und unerfreulichen Verquickungen zwischen Wirtschaft und Politik in diesem Zusammenhang. Vieles von dem, was die Zuschauer zunächst für lustig gehalten hatten, erwies sich als bittere Realität. Die CSU - das ist diese Partei, die früher in Bayern eine bedeutende Rolle gespielt hat - drohte und schäumte. Erfolglos.
Bettina Gaus ist Buchautorin und politische Korrespondentin der taz.
Jetzt hat CNN eine kleine Reportage gesendet. Kürzer als fünf Minuten, traditionell und bieder gemacht. Und zum Brüllen komisch. Sie erinnern sich: Sarah Palin, republikanische Kandidatin für das Amt der US-Vizepräsidentin, hatte kürzlich allein die Tatsache, dass man von Alaska aus Russland sehen kann, als Beleg für ihre außenpolitische Expertise herangezogen. Nun kann man nicht von jedem Punkt in Alaska aus Russland sehen. Eigentlich von fast gar keinem Punkt aus. Immerhin umfasst die Landfläche dieses größten US-Bundesstaates beinahe 1,5 Millionen Quadratkilometer. Man muss weit reisen, um tatsächlich dem Reich des Bösen ins Auge blicken zu können.
CNN-Reporter Gary Tuchman hat den Aufwand nicht gescheut. Per Hubschrauber flog er in den kleinen Ort Diomede auf "Little Diomede", einer Insel, die zu Alaska gehört. Das weniger als vier Kilometer entfernte "Big Diomede" gehört zu Russland. Man kann es vom Ort Diomede aus sehen. Sogar von jedem Haus aus. Aber Sarah Palin ist niemals dort gewesen. So wenig wie irgendeiner ihrer Vorgänger in den letzten 50 Jahren.
Das Eiland lässt sich kaum anders als mit dem Hubschrauber erreichen. Einen Flughafen gibt es nicht, Straßen gibt es nicht und keinen Hafen für größere Schiffe. Es gibt auch kein Krankenhaus, kein Hotel und kein Restaurant. Und kein Fernsehen. Was bedeutet, dass manche Einwohner von Diomede bisher gar nicht wussten, welchen Karrieresprung ihre Gouverneurin hofft, demnächst machen zu dürfen.
Bürgermeister Andrew Milligrock wusste das allerdings bereits vor Ankunft des Fernsehteams aus der großen, weiten Welt. Aber nein, Sarah Palin habe ihn niemals kontaktiert, um gemeinsam mit ihm zu beraten, wie man Hand in Hand gegen die russische Bedrohung kämpfen könne. Vielleicht kommt es ja noch dazu.
Ein Sprecher der Gouverneurin erklärte CNN gegenüber auf Nachfrage, diese wolle sehr gerne einmal Diomede besuchen. Gut möglich, dass sie nach den Präsidentschaftswahlen dafür Zeit findet. Gegenwärtig sprechen die Umfragen dafür, dass sich Sarah Palin nach dem 4. November wieder mehr ihrem Heimatstaat widmen kann als derzeit.
Die CNN-Reportage ist witzig und zugleich in sachlicher Hinsicht ganz und gar unangreifbar. Man könnte sie "objektiv" nennen - ein von Zuschauern immer wieder gefordertes Kriterium -, wenn dieser Begriff denn mehr wäre als eine Chimäre angesichts der Tatsache, dass schon allein die Auswahl von Nachrichten stets subjektiv sein muss. Hoffentlich bekommt Gary Tuchman einen Fernsehpreis. Wäre er ein deutscher Reporter: Ich schlüge ihn für den Grimme-Preis vor.
Als deutsche Fernsehzuschauerin kommt man nämlich doch ins Grübeln. Wie viele Sender in der Bundesrepublik, öffentlich-rechtliche oder private, wären bereit, Tausende von Euro auszugeben, um mit akribischer Recherche eine Behauptung zu widerlegen, die ganz offenkundig absurd ist? Statt lediglich Talkshow-Runden mit der Diskussion über die Behauptung zu bestreiten - was erheblich billiger ist? Man wird es im nächsten Wahlkampf sehen. Optimistisch bin ich nicht.
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