Kolumne Fernsehen: Verwelkte Blüten im Apfelland
Mit dem Internet lässt sich viel machen. Aber selten nur damit - wie auch Politiker und Sender erkennen müssen.
Ach, hier wohnen also die jungen Leute", sagte ein alter Freund kürzlich amüsiert, als ihm ein Nonsensvideo auf YouTube gezeigt wurde, in dem Barack Obama sich in wunderbar synchronisiertem Schwäbisch über dreckige Fahrräder im Hausflur empört. Der Freund ist 80 Jahre alt, und er hat recht: Ja, hier wohnen die jungen Leute. Was auch dem ZDF aufgefallen ist, wo die jungen Leute derzeit eher nicht wohnen, aber endlich einziehen sollen. Deshalb kooperiert der Sender nun mit der Internetplattform. Zuschauer sollen an die Redaktion von Maybrit Illner eigene Videos schicken mit Fragen an die jeweiligen Gäste der Talkshow. "Vielleicht ist schon bald Ihre Frage in meiner Sendung", wirbt die Moderatorin auf YouTube für die neue Form des interaktiven Fernsehens.
Bettina Gaus ist Buchautorin und politische Korrespondentin der taz.
Vielleicht. Ausgewählt werden die Zuschauervideos, die es auf den Bildschirm schaffen, natürlich von der Redaktion. Damit kommt einem die Kommunikation mit dem Publikum allerdings so neu dann nicht mehr vor. Sie erinnert doch stark an Sendungen, in die telefonische Reaktionen eingespielt werden. Ebenfalls gefiltert, selbstverständlich. Aber warum sollten eigentlich junge Leute, die im Leben nicht auf die Idee kämen, bei einem Sender anzurufen, nun plötzlich den Wunsch verspüren, sich mit einem Video zu Wort zu melden? Weil man so endlich mal "ins Fernsehen" kommt? Das ist zu bezweifeln. Gerade wer YouTube zur Selbstdarstellung nutzt, muss nicht den Umweg über die alten Medien nehmen. Der kriegt im Netz schneller, leichter und mehr Öffentlichkeit. Unzensiert.
Es ist ja möglich, dass die Idee funktioniert. Wahrscheinlich ist es nicht. Die Hoffnung, über neue Medien auch neue Zielgruppen zu erreichen, beruht nämlich allzu oft auf einem Missverständnis: dass es dabei vor allem um die Form der Kommunikation geht - und nicht etwa um den Inhalt. Vor zwei Jahren haben einige Bundestagsabgeordnete angekündigt, regelmäßig im "Apfelland" des Websimulationsspiels "Second Life" zum Meinungsaustausch mit anderen Spielern zusammentreffen zu wollen. Als ob mangelndes Interesse jüngerer Wählerinnen und Wähler an Politikern nur darauf zurückzuführen sei, dass diese die falsche Hardware benutzen. Es hat sich gezeigt: Daran lag es nicht. Die Blütenträume im Apfelland sind rasch verwelkt.
Aber spätestens seit Barack Obama das Internet im Präsidentschaftswahlkampf gezielt und erfolgreich eingesetzt hat, sind alte Hoffnungen neu entflammt. Wenn man das Netz nur endlich sinnvoll nutze, dann ließen sich - endlich, endlich - jene Kontakte zur umworbenen Jugend knüpfen, die diese bisher unfreundlicherweise so konsequent verweigert. Ohne jemanden entmutigen zu wollen: Die Hoffnung dürfte trügerisch sein. Obamas Rivale John McCain hätte vermutlich ein ganzes Heer von Internetfreaks beschäftigen können und die Wahlen dennoch verloren. Das Netz ist ein nützliches Hilfsmittel. Nicht mehr.
Als Hilfsmittel eröffnet es allerdings Möglichkeiten, von denen man früher nur träumen konnte. Auch und gerade im Bereich der Politik. In der ägyptischen Hauptstadt Kairo wurde vor einigen Wochen ein bekannter Blogger und Regierungskritiker verhaftet und an einen unbekannten Ort verschleppt. Innerhalb weniger Stunden traten weltweit mehr als 4.000 Leute einer Unterstützergruppe für ihn auf der Internetplattform Facebook bei. Demonstrationen in Ägypten und sogar in den USA wurden per Internet organisiert. Das abstrakte Schlagwort von der "globalen Öffentlichkeit" wurde für all diejenigen plötzlich sehr konkret, denen das Schicksal des jungen Mannes am Herzen lag. Nach fünf Tagen kam er frei.
Was zeigt: Das Internet ist kampagnefähig. Genau das sind öffentlich-rechtliche Sender jedoch nicht, und sie sollen es auch gar nicht sein. Die verschiedenen Medien haben eben verschiedene Aufgaben. Eine inhaltliche Diskussion über Möglichkeiten, vor allem aber über Grenzen der allseits geforderten, modischen "Medien-Vernetzung" ist spannender als der biedere Versuch, jungen Wein in alte Schläuche zu gießen. Weswegen sie ja auch gelegentlich geführt wird. Im Internet, natürlich.
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