Kolumne Die Lage am Lago: Fantrauben-Frust
Mittelalte, männliche Fans haben null Chancen, den Jungs von Löw beim Training zu zuschauen. Kleine Mädchen dürfen dagegen mit ihnen Hand in Hand ins Stadion einlaufen. Ungerecht!
Die Ruhe ist vorbei. Eine Traube Menschen, Männer, bedrängt die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes, die an der Einfahrt zum Trainingscamp der Deutschen postiert sind. Die Männer sind sauer. Auf den Sicherheitsdienst und ein wenig auch auf uns. Wir haben den wild Gestikulierenden aus Deutschland etwas voraus. Wir haben eine Plastikkarte, auf der ein Foto von uns ist und ein Logo des DFB. Mit der dürfen wir rein. Das finden die Männer ungerecht und fangen mit dem Ordnungsdienst zu streiten an. Die Privatsheriffs, von denen wir wissen, dass sie sehr wohl Deutsch sprechen, tun so, als würden sie nichts verstehen.
Andreas Rüttenauer ist Redakteur bei taz-Leibesübungen
Einer der Aufgebrachten geht auf uns zu. Er ist wahrscheinlich Mitte fünfzig, und wir können uns vorstellen, dass er im richtigen Leben ein ganz normaler, vielleicht sogar netter Mensch ist. Heute aber ist er Fan. "Im Fernsehen haben sie gesagt", sagt er hochroten Kopfes, "dass heute 15 Minuten Training für die Öffentlichkeit frei zugänglich sind." Im Fernsehen mag man das gesagt haben. Wir wissen jedoch, dass das nicht stimmt. Der gemeine Fan muss draußen bleiben in den Tagen der EM.
Ein Taxi fährt auf die Traube Männer zu. Der Fahrer hupt. Die Männer machen Platz. Kurz nach der Einfahrt hält das Auto wieder an - vor einem Bus, in dem die wichtigen Plastikkarten ausgegeben werden. Ein kleines Mädchen in gelbem Trikot holt sich den Eintrittsausweis. Die Männer glotzen das kleine Kind an und sind neidisch. Warum die und wir nicht, mögen sie sich fragen. Später erfahren wir, dass die Kleine Samantha heißt und von einem Schnellfressanlagenkonzern für die "Players Escort" gecastet wurde. Morgen darf sie mit einem deutschen Spieler ins Stadion einlaufen. Warum die und die nicht, fragen wir uns später auch und denken an die abgewiesenen Männer. Wir können uns vorstellen, dass es dereinst eine zahlungskräftige Brauerei geben wird, die es Männern im vorgerückten Fanalter ermöglicht, Hand in Hand mit einem Nationalspieler in ein Stadion einzulaufen. Während wir noch lachen, sehen wir am Horizont, wie ein Mann Mitte fünfzig aus der Krone eines Baumes fällt. Der Baum steht direkt an jenem blickdichten Zaun, der den DFB-Trainingsplatz von der Öffentlichkeit trennt.
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