Kolumne Die Farbe Lila: Beeilt euch, sonst gibt es Krawall
Krippenplätze sind rar, meine beste Freundin P. ist schwanger. Da behalte ich das, was ich von Familienministerin Kristina Schröder weiß, mal lieber für mich.
F reundin P. spricht am Telefon wirr: "Ich habe heute mein Kind in einer Krippe angemeldet."
Freundin P. ist kinderlos.
"Welches Kind denn?", frage ich sie. "Das Kind, das ich nächstes Jahr bekomme."
Hat mir meine beste Freundin gerade mitgeteilt, dass sie schwanger ist? Und wenn sie jetzt schon einen Krippenplatz hat, in welchem Monat ist sie dann? Im vierten? Wo ist der Bauch?
"Herzlichen Glückwunsch", sage ich. "Freust du dich?"
"Total", sagt Freundin P. und schaltet dann trotzdem in den Fluch-Modus: "Aber die Arschgeigen in der Politik gehen mir jetzt erst recht auf den Zeiger. Ich meine, ich melde mein Kind jetzt an, damit es in anderthalb Jahren eventuell einen Krippenplatz kriegt. Haben die noch alle Tassen im Schrank?"
Ich überlege, ob ich Freundin P. sagen soll, dass unsere Familienministerin Kristina Schröder erst neulich wieder in einem Interview gesagt hat, sie sei sehr zuversichtlich, wenn es ab 2013 erst einmal für jedes dritte Kleinkind einen Krippenplatz gäbe, sei die Welt in Ordnung, weil: der Bedarf gedeckt. Nein. Ich behalte diese Information mal lieber für mich. Ich will nicht, dass P.s Kind jetzt schon zu viel vorgeburtlichem Stress ausgesetzt wird. Es wird es im Leben mit seiner politisch radikalen Mutter eh mal schwer genug haben.
Lieber setze ich auf Deeskalation: "Weißt du, der Ude hat neulich gesagt, er wolle, dass in München viel schneller viel mehr Plätze geschaffen werden. Er glaubt, dass es locker einen Bedarf für über vierzig Prozent der Kleinkinder gibt."
Und ich glaube, der Münchener Oberbürgermeister hat recht. Die Ansprüche werden mit dem Angebot steigen. Meine Mutter zum Beispiel erzählte mir mal, dass sie sich zu Ostzeiten unendlich darüber aufregen konnte, ihre Kinder schon sechs Wochen vor dem gewünschten Eintritt in eine Kinderkrippe dort anmelden zu müssen. Sechs Wochen! Was für eine Frechheit.
Susanne Klingner ist Mitautorin des Buches "Wir Alphamädchen" und bloggt auf mädchenmannschaft.net.
Aber Kristina Schröder regiert ja überhaupt mit einer latent realitätsverweigernden Art, da kann sie auch ignorieren, dass schon jetzt immer mehr westdeutsche Eltern ihr Misstrauen Krippen gegenüber ablegen. Bisher lebt der Mythos von der Mutter-Kind-Symbiose im Westen doch vor allem deshalb weiter, weil es viel zu wenige Betreuungsangebote gibt. Und so lange Krippen immer nur das Andere, das Fremde sind, kann man auch weiter den Heimkinder-Studien glauben, die "fremdbetreuten" Kindern große emotional Defizite attestieren. Heimkinder! Die beweisen sollen, dass eine Mutter am besten drei Jahre lang 24 Stunden bei ihrem Kind bleibt. Selten hat sich eine so plumpe Interpretation - ich würde sogar sagen: Manipulation - so lange als Tatsache gehalten.
"Dann soll sich dein Ude mal beeilen. Wenn ich nämlich keinen Krippenplatz kriege, werde ich Rabatz machen", droht die Freundin.
Ich wünschte, der rechtliche Anspruch auf einen Krippenplatz würde schon 2012 in Kraft treten. Dann könnte ich nämlich miterleben, wie Freundin P. zu Höchstform auflaufen würde: Elterninitiative, Verfassungsklage, Interviews zu den Gerichtsterminen. Ein Fest würde das werden. Ich hoffe, sie kriegt noch ein zweites Kind.
"Wann ist eigentlich der Geburtstermin?", frage ich sie.
"Mitte Juni."
"Das heißt, du bist jetzt …"
"In der fünften Woche."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe