piwik no script img

Kolumne Die Farbe LilaStolz und Vorurteil

Kolumne
von Susanne Klingner

Ich wollte niemals einen Babyporsche kaufen, aber jetzt habe ich doch einen. Und ich bin auch noch stolz darauf, dass ich diesen einen haben.

F ür Anfang Mai hat sich ein Kind angekündigt, also brauchen der Mann und ich Babysachen. In einen Laden mussten wir dafür noch nicht, denn erstaunlicherweise kommen die Sachen zu uns: Freundinnen und Freunde, Schwestern und Kollegen schicken, schenken und leihen uns, was das Kind benötigt, um sich fröhlich und ausgiebig vollspucken zu können.

Nur ein einziges Mal geben wir etwas Geld aus: für einen Kinderwagen. Eine Bekannte des Mannes überlässt ihn uns für ein lächerliches Drittel des Neupreises - deswegen kommen wir nicht einmal ansatzweise auf die 1.400 Euro, die Eltern heutzutage im Schnitt für die Erstausstattung ihres Kindes ausgeben. Ich bin dankbar dafür, denn meine Vorstellung vom Kinderhaben hat wenig mit Selbstverwirklichung durch Babyausstattungskonsum zu tun.

Als wir den Kinderwagen abholen, sitzen wir Tee trinkend in der Küche der Bekannten und sie gibt zu, wie schwer sie sich von ihm trennen kann, er sei für sie mehr als nur ein Kinderwagen. Die Bekannte ist alleinerziehend, "mein Mann und ich haben uns noch in der Schwangerschaft getrennt", sagt sie.

"Ich zog in eine neue Stadt und fing einen neuen Job an. Für den ich ständig reisen musste, was ich dann meistens mit meiner Minitochter, Koffer und Kinderwagen unterm Arm tat. Der Wagen ist so leicht, praktisch, einfach auseinanderzunehmen und so fröhlich orange - in dieser Zeit war ich sowieso immer den Tränen nahe, da war ich froh, wenigstens nicht wegen irgendwelcher Treppen heulen zu müssen."

stephanie fuessenich

SUSANNE KLINGNER ist Mitautorin des Buches "Wir Alphamädchen" und bloggt auf mädchenmannschaft.net.

Sie lacht über sich selbst und sagt dann: "Mit dem Kinderwagen war alles leichter, ich hatte manchmal das Gefühl, der Bugaboo ist mein Lebensretter."

Richtig, ein Bugaboo. Vor ein paar Tagen hätte ich noch jedem einen Vogel gezeigt, der mir prophezeit hätte, dass wir uns so ein Ding anschaffen. Als der Mann das böse Wort zum ersten Mal erwähnte, fiel es mir schwer, ihm überhaupt zuzuhören, denn in meinem Kopf ging eine große, mit Manufaktum-Einlegepapier ausgekleidete Schublade auf und darin sah ich mich sitzen, als Bugaboo-Mutter.

Die ihre Nachmittage auf Spielplätzen verbringt und dort mit anderen Bugaboo-Müttern die Vorteile von Petit-Bateau-Wäsche diskutiert - den Coffee-to-go lässig im Kaffeebecherhalter des Kinderwagens. Die mit Anbruch der Elternzeit beschließt, für das Wohl des Kindes ihren Job ganz aufzugeben; der Mann muss dann eben mehr arbeiten, um das zu finanzieren. Ich dachte wirklich nicht einen netten Gedanken, nachdem das Reizwort "Bugaboo" gefallen war.

Aber plötzlich, in der sympathisch verkruschten Zweiraumwohnung der Bekannten, ist es mir egal, wer diesen Kinderwagen hergestellt hat. Ich will den Wagen, mit dieser "Mein Mann und ich haben uns noch in der Schwangerschaft getrennt"-Geschichte, von dieser Frau, die ich ab und zu beruflich treffe und jedes Mal beeindruckt bin, wie souverän sie ist.

Wir nehmen den Bugaboo mit nach Hause und mit ihm die Erkenntnis, dass ich manchmal abartig vorurteilsbeladen bin. Ganz werde ich meine Bugaboo-Abneigung nicht ablegen können, weil mir in meinem Viertel täglich die Mütter mit ihren großen Sonnenbrillen und schwarzen Babyporsches begegnen.

Aber ich bin stolz, die Besitzerin dieses einen speziellen Bugaboos zu sein. Von drinnen sieht die Schublade erstaunlich anders aus als von außen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

3 Kommentare

 / 
  • O
    opacity

    Schön, auch ein Alphamädchen wird mal erwachsen :), nicht weil sie (vllt.) ihre Ideale wegschmeisst, dafür aber ihre Vorurteile. Neubewertung finde ich für mich selbst einen anspruchsvollen Prozess, würde gerne oft darauf verzichten. Hinterher bin ich dann aber doch ganz "glücklich". Allerdings, finde ich Ü30 dafür reichlich spät (Wikipedia liefert mir was von "Baujahr 78", glaube ich jetzt mal). Aber immerhin, es ist geglückt :)

     

    @Katzowski: Zählst die halbe Zusatzartikelliste (samt Preisangabe!) auf und monierst "Werbung"? Muss man auch ersteinmal schaffen!

     

    o.

  • K
    kuschelhummer

    Das Ding ist ein prima Gebrauchsgegenstand. In dieser schlafarmen Zeit freut man sich über alles, was klaglos einfach funktioniert.

     

    Grüsse aus unfunky Norderstedt, wo das Stadtbild mehr von rauchenden Leggingmammas bestimmt wird.

  • K
    Katzowski

    Wir haben auch so ein Drecksteil geerbt.

     

    Ich bin 1,87 groß und muss mich bücken, weil der Griff nicht in der Höhe verstellbar ist. Nach dem ersten Winter sind die Lager der Vorderräder kaputt gewesen und beim Transport ist die Bodenplatte der Kinderaufbewahrung gebrochen, eine neue Bodenplatte zu bestellen hat 6 Wochen gedauert und 30 Euro gekostet. Die Vorderräder kosten 29,95 Euro – Eines natürlich also 60 Schleifen für beide.

     

    Meine Frau ist dann noch auf das Mitfahrbrett reingefallen, macht 74,95 Euro für ein nicht brauchbares Utensil. Das einrädrige Anhängsel macht den Wagen unmanövrierbar und kippt so leicht, dass man es auch weglassen kann.

     

    Sämtliche Verbindungen des Wagens sind nach dem 3. Kind vollkommen wackelig geworden und machen den Wagen nun unbrauchbar.

     

    Fazit: Erstens finde ich es immer wieder bedenklich, wenn im redaktionellen Teil einer ehemals linken Zeitung unentgeltlich Kosumgüter beworben werden, zweitens ist das Produkt bei Entrichtung des Regulären Preises eher minderer Qualität. Wir hatten Ihn kostenlos, dafür ist er OK.