Ja doch, ja, ist ja schon gut! Ich will ja gerne glauben, dass er alternativlos ist, der Konsu-mismus. Ohne Ware keine Persönlichkeit, richtig? Dabei: Sterben muss man. Alberne Hieroglyphen entziffern muss nur der, der erst noch jemand werden will.
Die Deutschen wollten wieder jemand werden nach den beiden verlorenen Kriegen. Vor allem deswegen haben sie ihre Warenhäuser zur Lebenslüge aufgerüstet. Leider hatte die "konkrete Utopie" der Herties und Karstadts schon immer spätestens an der Kasse ein Ende. Die vermeintliche Klassenmischung und der "größte ästhetische Grundlagenvertrag" der Deutschen waren von Anfang an nicht mehr als ein riesengroßer Schwindel. Einer, der nur so lange leicht zu glauben war, wie das allgemeine Wachstum angehalten hat. In Wachstumszeiten nämlich kann sich, wer heute noch zu den Schnäppchen greifen muss, spätestens übermorgen in Hochwertiges kleiden, wenn auch zunächst nur in Gedanken. In Zeiten negativen Wachstums ist es eher umgekehrt. Und doch: Mehr Motivation war wohl selten.
Nun werden die Klassengegensätze also wieder betonen. Man grenzt sich ab. Vor allem nach unten. Literarisch und ikonografisch könnte das durchaus spannend werden. (Vielleicht steht uns ja ein neues Rokoko bevor.) In der Alltagspraxis hingegen wird es eher zur weiteren Verödung führen. Insbesondere in den Hirnen derer, die schon jetzt ganz ohne warengestützte Betonung nicht wissen, wer sie eigentlich sind. Ich fürchte, auch der Verfasser dieses Textes zählt zu jenen, die dringend fremder Hilfe bedürfen bei der Entdeckung der eigenen Individualität. Und ganz offensichtlich geht er davon aus, auch seine Mitmenschen würden der kommerziellen Inszenierungen bedürfen, um ein Gefühl ihrer selbst zu entwickeln.
Glanz und Fantasie gegen eine scheinbar bewusste Lieblosigkeit – nun ja, so kann man es sehen. Muss man aber nicht. Schließlich bekommen die aller meisten KiK-Käufer Tag für Tag auch abseits der Konsumtempel gepredigt, dass ihr Wert gegen Null strebt. Und zwar ganz überwiegend von Leuten, die sich des eigenen Wertes nur dann ganz sicher sind, wenn sie ihre Kreditkarte zücken können. Wer also will es der "neuen Unterschicht" (der man von Georg Seesslen offenbar zwangsweise zugeordnet wird, so bald man durch die falsche Tür getreten ist) verübeln, dass sie zu Gunsten kleiner Preise gern auf den längst als Lüge enttarnten Zinnober der auch schon länger nicht mehr hoch bezahlten Werbefotografen verzichten?
Der "KiK-Katalog" als Höllen-Gesamtkunstwerk? Er wäre nichts ohne Männer wie Georg Seesslen. Sie sind es, die den finanzschwachen Kunden nur all zu gern die traurige Wahrheit in die tränensackwelken Gesichter brüllen: "Für euch gibt es keine Geschichten mehr, keine Verheißun-gen, keine Traumbilder." Schließlich: Wenn die Industrie nicht liefern mag, ist der Kunde nicht König sondern Bettler. Selber träumen war gestern. Heute lässt man fantasieren. Natürlich nur, sofern man es sich leisten kann. Auffallen? Kann allenfalls der, der anderen die entsprechenden Ideen abkauft. Oder stiehlt.
Die taz fragt ihre Leser heute, was sie gern in den "Nullerjahren" zurücklassen würden. Ich persönlich könnte gut auf den dämlichen Dünkel dieser Ich-habe-Geschmack-und-Knete-Typen verzichten. Neokonservativ und stolz darauf: Ich bin Deutschland, du bist 7,99. Es ist wohl doch ausnahmslos jede Dämlichkeit noch irgendwie zu toppen.
Wissen Sie was, Herr Seesslen? Landhausmodeträger sind genau so dumm, übergewichtig und geschmacklos, wie Leute, die sich bei Aldi einkleiden. Sie beziehen ihre angeberische Vitalität, ihre volkstümelnde Sexualität und ihr regressives Sentiment ausschließlich aus der bereitwilligen Dummheit von Typen Ihres Schlages. Wer Dresscodes liest, der benutzt zum Rechnen auch die Finger. Und die Werbelügen, nach denen Sie sich so sehnen, gönne ich denen, die ihre Persönlichkeit bei Quelle bestellen würden. Sogar Tiere träumen selber.
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