Kolumne Bridge & Tunnel: Schnitzeljagd spielen
New York ist die Wiege der Sprayer. Jetzt wird die Stadt jeden Tag von einer Aktion von Banksy, dem Meister der Tarnung, überrascht.
M uss das Spaß machen, Banksy zu sein: Dieser Oktober, den der anonyme britische Streetartkünstler sich für seinen Aufenthalt in New York ausgesucht hat, ist einer der schönsten überhaupt. Durchgängig T-Shirt-Wetter, das Licht ist geradezu unverschämt golden, und fast alle, die irgendwie mit Banksy zu tun kriegen, beißen sich danach entweder in den Hintern oder freuen sich ein Loch in den Bauch. Kurz, es ist ein Fest für jeden, der Lausbubenstreiche liebt.
Nach der Ankündigung, den ganzen Monat lang jeden Tag ein neues Kunstwerk in der Stadt zu platzieren, ging es gleich am 1. Oktober los, mit einem Stencil von zwei Kindern, die die Sprühdose aus einem „Graffiti is a crime“-Schild rauszuholen schienen. New York ist die Wiege der Sprayer und somit die Stadt, in der am härtesten gegen sie und ihre Hinterlassenschaften vorgegangen wird. Also ist sie inzwischen auch nahezu graffitifrei.
Kaum kommt aber Banksy, holen alle reflexartig ihre Dosen (Sprayer) oder aber Farbeimer (Hausbesitzer, Stadtverwaltung) hervor wie ein alter Cowboy, dessen Hand noch immer sofort ans Holster schnellt. Es wird reingetaggt und übergestrichen, dass man kaum noch hat hinschauen können.
ist Kulturkorrespondentin der taz in New York
Fürs Fotografieren kassieren
Oder aber: Man versucht, ein Geschäft zu machen. Zwei von allen als Idioten beschimpfte Typen haben vor wenigen Tagen ein neues Graffito mit Pappen und einem Fahrrad verdeckt. „Du willst ein Foto machen? Kannst du. Für 20 Dollar!“ Auktionshäuser, die kein Problem damit haben, an ganzen geklauten Mauerstücken mit Banksys Handschrift Zehntausende zu verdienen, findet allerdings keiner dumm, höchstens dreist.
Banksy hat sich auch schon gegen diesen Handel seiner Arbeiten gewehrt: Er verweigerte sein Echtheitszertifikat und löschte die Beweisfotos der entsprechenden Installation von seiner Webseite. Das Erscheinen von Fotos seiner Arbeiten auf der Website gilt als Beleg, weswegen New York zur Zeit bei jedem seltsamen Ereignis dem Update entgegenfiebert.
Der Künstler kündigte jetzt an, auch Videos und Installationen zu schaffen. Als ein Transporter mit einem kleinen Garten darin an verschiedenen Orten auftauchte, wurde gleich Banksy dahinter vermutet. Eine kostenlose Rufnummer, die auf dem Van steht, führt zu einem museumstypischen Audioguide. Eine lispelnde Männerstimme erklärt, das mobile Paradies stamme von dem Künstler Bambi, und ergeht sich in einem ausufernden Text über frühe Landwirtschaft.
Quiekende Stofftiere
Ein weiterer Truck, den Banksy durch New York fahren lässt, ist ein Stofftiertransport mit dem Titel „Sirens of the lambs“. Darin eingepfercht, ihre Köpfe durch die Latten reckend, sind quiekende Stofftiere. Der Fahrer, nach seinem Namen gefragt, sagt: "Joe"." Nachname? "The Farmer." Er trägt Hosenträger, Karohemd und Schiebermütze und das ganze Szenario sieht aus wie bei Wallace und Gromit. Wer sind diese ganzen netten Joes, die Banksy helfen? Für jemanden, der es schafft, seit Jahren anonym zu bleiben, ist seine Infrastruktur erstaunlich.
Man stellt sich eine detailverliebte und reibungslos funktionierende Produktionsfirma vor, wie Aardman, eben jene Schöpfer von Wallace und Gromit. Moment mal, die kommen auch aus Bristol! Der Drang, Banksy aufspüren zu wollen, ist stark, wie die Platzierung eines Senders an dem Gartenlaster zeigte. Der Sender wurde natürlich entdeckt und an ein Taxi aus Queens geheftet, wie Banksy schadenfroh auf seiner Webseite mitteilt. Ja, es muss Riesenspaß machen, jetzt gerade Banksy zu sein und diese Schnitzeljagd zu spielen.
Am Samstag saß ein gähnender älterer Herr vor seinem Stand am Central Park, wo die ganzen Straßenmaler versuchen, ihre scheußlichen Bilder an die Touristen loszuwerden. Die schienen nichts von Banksys Aufenthalt in der Stadt mitbekommen zu haben oder nicht auf die Idee gekommen zu sein, es könnte sich bei den gesprayten und signierten Leinwänden um Originale handeln. Das Geschäft lief äußerst mau. Eine Frau aus Neuseeland handelte die 60 Dollar pro Bild auf 30 herunter und kaufte zwei für ihre Kinder.
Der Mann aus Chicago, der „irgendwas für die Wände in meinem neuen Haus“ suchte und gleich vier Bilder einpackte, dürfte einen Teil der Kosten für selbiges gleich wieder reinkriegen – auf Auktionen erzielen die kleinen Formate um 25.000 Euro. Am 31. Oktober, dem letzten Tag von Banksys „residency“, ist Halloween. Da gibt es garantiert Süßes und Saures.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen