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Kolumne BlickeDie Angepissten

Ambros Waibel
Kolumne
von Ambros Waibel

Sommer, Gerüche, Schuhe und die Frage, wer sich kümmert.

H eute reden wir mal über Gerüche – es ist schließlich Sommer. Studieren wir zunächst die Literatur! In Franz Doblers Roman „Aufräumen“ etwa hat der coole Protagonist nur zwei Paar Schuhe; edle Dinger natürlich, Vintage sozusagen. Immer, wenn er von seiner Nachtarbeit nach Hause kommt, stopft er die Schuhe mit Zeitungspapier aus. Seitdem ich das gelesen habe, tue ich das auch. Und meine Turnschuh-Söhne müssen es ebenfalls tun, gnadenlos. Da soll noch einer sagen, Kunst ändere nicht die Welt: die Kunst von Dobler jedenfalls schon. Jedenfalls meine.

Aber gibt es denn mehrere Welten? Ich glaube nicht. Ich glaube, es gibt nur verschiedene Filter, Mauern, Grenzzäune, Minengürtel, Blickwinkel. Natürlich gibt es Unterschiede. Ich zum Beispiel liebe Parfüm. Also das von Frauen. Was nicht bedeutet, dass mich jedes gleich anmacht. Es geht auch nicht ums Anmachen. Aber wenn ich zum Beispiel an einer Gruppe nachtlebenslustiger Frauen vorbeigehe, durch ihre Duftwolke hindurchgehe: dann ist es mir egal, ob die aus Chanel oder Drospa ist – es muss nur viel sein.

Bei der Herzdame ist das wieder anders. Deswegen war ich erstaunt, als ich in dem sehr schönen Buch „Mein Name ist Revolution“ von Imran Ayata es wohlwollend bewertet fand, dass die von Romanheld Devrim begehrte Königin mal jenen, mal diesen Duft trägt: Ich liebe den Duft „meiner“ Frau. Aber vielleicht werde ich ja noch eines Besseren oder besser: eines anderen belehrt. Es gibt so viel zu entdecken in diesem kurzen Leben!

Bild: Alexander Janetzko
Ambros Waibel

ist tazzwei- und Meinungsredakteur der taz.

Devrim bedeutet übrigens „Revolution“.

Ein mutiger Name.

Es war einer dieser schon in der Frühe warmen Maitage, als ich mit meinen Kindern zur Schule radelte, am Kanal entlang. Das erste Mal roch ich es von einer Parkbank, dann im Vorüberstrampeln, dann aus einem Gebüsch. Es ging jeweils von Männern aus, sie hatten lange Haare, einer sogar Rastas, von dem im Gebüsch im Schlafsack liegenden sah ich den langen Bart. Die Männer rochen nach Urin, und der roch nicht nach Spargel. Es war der Gestank von altem Urin, so als hätten sich die Männer selbst oder andere sie gründlich angepisst. In der Schule sah ich dann einen Spitzenpolitiker der Grünen, der dort wohl sein Kind anmelden wollte. Ein Politiker, der durchaus sympathisch rüberkommt.

Und da hatte ich plötzlich wieder den Gestank der Angepissten in der Nase. Und ich dachte, ob dieser Politiker hier sich wohl noch darum kümmern würde, ob die Angepissten seine Partei wählen. Ob sie überhaupt irgendwen wählen. Der Politiker war einige Monate zuvor bei uns in der Redaktion gewesen. Und ich meinte mich zu erinnern, dass er gesagt hatte, eine bestimmte Klientel wähle sowieso nicht mehr Grün, Hartz-IV-Rückreform hin oder her. Womit er bestimmt recht hatte. Damals. Aber hier und heute, wen sollen die Angepissten wählen? Oder diejenigen, denen es das wichtigste politische Ziel scheint, dass es im fast reichsten Land der Welt keine Angepissten gibt? Geben darf. Niemand mehr? Nein? Na dann. Bleib ich halt auch bei „Égoïste“.

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Ambros Waibel
taz2-Redakteur
Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.

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