piwik no script img

Kolumne BlagenUnd Alrun sprach: "Ups?!"

Anja Maier
Kolumne
von Anja Maier

Warum in der Sauna nicht aufs Holz geschwitzt wird und was das mit dem Schweigegebot zu tun hat. Auch für Kinder.

Naaa", fragt die Fischverkäuferin die Sechsjährige, "teilst du dir mit dem Opa das Matjesbrötchen?" Die so Angesprochene schüttelt den Kopf. Der leicht angejahrte Mann an ihrer Seite, teilt sie der Verkäuferin mit, sei keineswegs ihr Opa, der sei nämlich tot. Nein, der hier sei ihr heiß geliebter Papa, der jetzt mal eben zweifuffzich rüberreichen möge - für das Fischbrötchen.

Wir befinden uns an der Ostseeküste, es sind minus 10 Grad bei blendender Sonne, und hier in Nordvorpommern baut sich wieder mal das anhaltende Missverständnis zwischen ostdeutschen Frühgebärenden und metropolitanen Familienentwürfen auf. Zum Glück nimmt's der verkannte Vater nicht krumm, er kennt das: Leute, die denken, seine Tochter sei seine Enkeltochter. Und das, obwohl zum Beispiel in Berlin schon jedes zwanzigste Neugeborene einen Mann jenseits der fünfzig Papa nennt. Dieser Papa jedenfalls lächelt milde, zahlt zweifuffzich, sagt "Komm, Alrun!", und im Gehen mampfen sie gemeinsam ihr Matjesbrötchen.

Tatsächlich ist es nicht leicht auseinanderzuhalten, wer hier wer ist. Es sind Ferien in Deutschland, was sowohl Familien- als auch Großfamilienzeit ist. Unklar, wer hier Mama oder Papa, Oma oder Opa, Kind oder Enkel ist. Ob diese Frau die Tochter oder die dritte Ehefrau ist - wer mag das erkennen? Egal. Die Gastgewerbetarife sind günstig, und die Möwen führen ein sehr ansprechendes Himmelsballett auf. Menschen flanieren die kurkartenfinanzierte Promenade auf und ab, in den Hotels sind die Pools gut geheizt. Auch das Saunathermometer in meiner Herberge zeigt 90 Grad, und so breite ich nach dem Sonnenuntergang und vor dem ersten Bier mein Handtuch aus.

taz
Anja Maier

ist Parlamentsredakteurin der taz.

Es ist dieses tumbe Schweigen, das den Saunagang so magisch macht. Man lagert, schweigt und schwitzt (natürlich nicht aufs Holz!), ab und zu geht die Tür, und einem unbekannten Nackten wird ein Quadratmeterchen freigeräumt. Jene, die gut durchgegart den Raum verlassen, hört man wenig später unter der Eisdusche stöhnen. Es ist ein kollektives stummes Einverständnis in die Abläufe, die ja eigentlich, bei näherem Hinsehen auf Bäuche, Brüste, Schwänze und Mösen, nicht einer intimen Komik entbehren. Hängebusen, Narben und Schaukeleier - es ist nicht so, dass wir sie nicht sähen. Aber später im Hotelzimmer haben wir derlei vergessen, so wie wir vergessen sind.

Aber heute ist das anders. Denn nun betreten Alrun und Papa unsere Sauna. Beide tragen Badesachen: Papa eine schwarze Hose, Alrun einen pinkfarbenen Zweiteiler. Das verstößt zwar gegen die Gepflogenheiten, aber wer weiß schon, welche Regeln in München, Köln oder Berlin neuerdings herrschen. Ebenfalls neu scheint die Quatschregel zu sein. Denn Papa möchte Alrun heute mal ausführlich das Saunawesen erläutern, was Alrun wiederum mit mannigfachen Fragen dankt. Wie viele Leute denn hier reinpassen? Wozu der Wasserbottich und die Sanduhren da sind? Wie heiß es hier genau ist? Warum hier keiner redet? Papa antwortet ausführlich und kindgerecht. Warum die Frau da drüben nur einen Busen hat, möchte Alrun nun wissen. Papa antwortet: "Das fragst du die Frau am besten selber, Alrun." Es kommt nicht dazu. Die Frau geht, und bevor die Holztür sich schließt, schickt sie noch ein regelwidriges "Leck mich doch!" in den Raum. "Ups?!" spricht Alrun. Dann herrscht Ruhe.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Anja Maier
Korrespondentin Parlamentsbüro
1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

1 Kommentar

 / 
  • J
    Julia

    "Unklar, wer hier Mama oder Papa, Oma oder Opa, Kind oder Enkel ist. Ob diese Frau die Tochter oder die dritte Ehefrau ist - wer mag das erkennen?"

     

    Tja. Warum kommt es mir nur unglaublich engstirinig und spießig vor, dass Sie sich damit beschäftigen; oder es auch nur bemerken

    Und warum bin ich mir sehr sicher, dass Sie Ihren Lebensentwurf für den einzig wahren halten

    (Ihre Kolumne "Blagen" zeigt ja regelmäig, was für einen einwandreien unmittelbaren Draht Sie zum früh geborenen Kind haben...)

     

    "Das fragst Du die Frau am besten selber."

    Stimmt doch.