Kolumne Älter werden: Im Kasperletheater des Älterwerdens
Wenn einer in der Inszenierung des Lebens alle Rollen gleichzeitig spielen will, hat das leicht etwas Peinliches.
I ch hatte das schon einmal in meiner ersten Kolumne kurz thematisiert: Dass man sich als Mitglied der Generation 50-plus-links leicht zum Affen machen kann, wenn man den Prozess des Älterwerdens ignoriert und etwa als Berufsjugendlicher daherkommt oder permanent den Revoluzzer gibt.
Klaus-Peter Klingelschmitt ist Korrespondent der taz in Frankfurt. Das Bild zeigt ihn im Jahre 1968.
Ganz schlimm aber wird es, wenn jemand im selbst inszenierten Kasperletheater Leben auch noch alle Rollen selbst spielen will: den Kasper, den Seppel, den Polizisten, den Räuber, das Krokodil, die Gretel, die Prinzessin, die Großmutter und den Teufel. So wie unser Alterskamerad Diether Dehm (58) alias "Lerryn" - eine Kombination aus Larry (Spitzname) und Lenin -, alias IM Dieter, alias IM Willy, zu dem zwei Aphorismen von Lichtenberg passen wie Arsch auf Eimer: "Er schien eher eine Tischlerarbeit zu sein als ein wirklich menschliches Geschöpf." Und: "Er schliff immer an sich und wurde am Ende stumpf, ehe er scharf war."
Der ehemalige Sozialdemokrat und gelernte Pädagoge, Liederschreiber und Protestsänger, Musikpromotor und Prominentenmanager, Fernsehproduzent und Berufspolitiker, Stasiinformant und Entertainer, Unternehmer und Buchautor sitzt heute für die Linke im Bundestag. Vor gut drei Wochen auf der Geburtstagsfeier für Linksikone Oskar Lafontaine (65) im Bergmannsheim zu Ensdorf führte der tatsächlich doch real existierende Dehm durch das Programm und sang zudem vor den geladenen Gästen aus Politik und Kultur im Showbusinessanzug das italienische Partisanenlied "Bella ciao!" - in einer weichgespülten, verkitschten deutschen Version.
Mehr Pein und Peinlichkeit war nie! Einer, der nach den Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR auch eine Geldprämie für seine nachgewiesenen denunzierenden Berichte etwa über den ausgebürgerten Lyriker und Sänger Wolf Biermann bekommen haben soll, verging sich an diesem Klassiker des Widerstands gegen den Faschismus in Europa. "Partisanen, kommt nehmt mich mit euch, oh bella ciao, bella ciao, denn ich fühl, der Tod ist nah." Blasphemie in Rot pur also. Wer möchte so ignorant älter werden? Ich jedenfalls nicht.
Gut, dass es vor dem Auftritt von Dehm noch nichts zu essen gab, sonst hätte ich wohl den Holzfußboden im Festsaal der saarländischen Kohlekumpel damit verunreinigt. So krampfte sich nur mein leerer Magen zusammen und schmerzte: "Es tun mir halt viele Sachen weh, die andern nur leid tun" (Lichtenstein).
Größer als der Schmerz aber war meine "rote Wut" (Degenhardt): "Diese rote Wut, die hatte er immer, ihren Ausbruch hat er nur meistens vermieden. Er ging dann rüber ins gute Zimmer und spielte Revolutionsetüden." Ein Klavier aber war nicht greifbar. Und so hätte ich dem Kerl ganz proletarisch auf sein Maul gehauen, wenn er auf diesem bunten Abend auch noch das Lied von den Moorsoldaten angestimmt hätte. Die Courage dafür war plötzlich da. Ehrlich! Er hat es aber sein lassen - zu seinem und meinem Glück.
"Kommissar" Ehrlicher alias Peter Sodann nahm den Sozialistendarsteller Dehm danach zwar leider nicht fest. Doch sein kleiner Vortrag jenseits auch aller sonstigen hochnotpeinlichen Lobhudeleien an die Adresse von Geburtstagskind Lafontaine - mit Ausnahme der wirklich witzigen Anmerkungen von Gregor Gysi -, war dann Strafe genug für alle aus Berlin angereisten Mitglieder der Linken-Schickeria, denen beim Auftritt von Dehm das Glas Cremant nicht aus der Hand gefallen war - vor Schreck. Im Gegenteil: Man klatschte Dehm brav Beifall, wenn auch nur verhalten. Doch vielleicht signalisierte die ungewöhnliche Blässe um die Nase von Lafontaine ja tatsächlich Fassungslosigkeit. Wenn ja, stand sie ihm gut zu Gesicht.
Sodann jedenfalls, der wegen seiner unorthodoxen Auslegung von Linkssein in der DDR von der Stasi, deren Zuträger Dehm war, verfolgt wurde, trug "für alle Politiker, die ja beruflich leider immerzu lügen müssen", ein Gedicht vor: "Dunkel wars, der Mond schien helle, als ein Auto blitzeschnelle langsam um die Ecke fuhr. Drinnen saßen stehend Leute …" Ich hab dem in Würde älter gewordenen Schauspieler in seinem sperrigen Jackett, der sich bei der Linken engagiert, "weil ich doch schon immer links war", danach noch herzlich gratuliert und mich dann schnell verabschiedet: "Ciao zusammen!" Und was ist jetzt eigentlich mit Dehm? Mit wem???
Rein: "Kochbuch Südostasiatische Spezialitäten". Culinaria Könemann. Lothar Gall u. a.
"Die Deutsche Bank 1870-1995". C. H. Beck.
Raus: Wieder nix
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Wir haben in unserem Artikel unter der Überschrift "Im Kasperletheater des Älterwerdens" vom 14. 10. 2008 über die Feier zum 65. Geburtstag des Linke-Chefs Oskar Lafontaine über den "ehemalige[n] Sozialdemokrat[en], […] Prominentenmanager, […] Stasiinformant[en]" Dr. Diether Dehm geschrieben: "Einer, der nach den Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR auch eine Geldprämie für seine nachgewiesenen denunzierenden Berichte etwa über den ausgebürgerten Lyriker und Sänger Wolf Biermann bekommen haben soll, verging sich an diesem Klassiker des Widerstands gegen den Faschismus in Europa. ,Partisanen, kommt nehmt mich mit euch, oh bella ciao, bella ciao, bella ciao, denn ich fühl, der Tod ist nah.'"
Soweit der Eindruck entstanden sein sollte, Dr. Diether Dehm hätte die von uns wiedergegebene Textzeile gesungen, wollten wir diesen Eindruck nicht erwecken, denn der wäre falsch. Unsere Textzeile gibt den Wortlaut in der bekanntesten Übersetzung dieses Liedes durch Horst Berner wieder. Dr. Diether Dehm hat diese weichgespült und verkitscht, indem er unter anderem gesungen hat: "[…] Hier in den Bergen, heut komm ich zu euch, O bella ciao, bella ciao, bella ciao, ciao, ciao, Was kein Kommando und kein Befehl kann, ich werde heute Partisan. Wenn ich am Dorfplatz mal tot herumlieg […]."
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