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Kolumne Älter werdenMit Eiswasser gegen Falten

Wer behauptet, nur die inneren Werte zählen, der sollte umgehend in einen Kosmetiksalon.

Bild: privat

Klaus-Peter Klingelschmitt ist Korrespondent der taz in Frankfurt. Das Bild zeigt ihn als Gitarrist der Rockgruppe Dreadful Desire im Jahre 1969.

Männer müssen nicht schön sein, sondern Charakter haben. Sie alle kennen diesen blöden Spruch, liebe Altersgenossinnen und -genossen der Generation 50 plus links. Er ist ein Affront gegen uns Männer, denn er transportiert die falsche Botschaft, dass wir uns auch beim Älterwerden äußerlich "gehen lassen" dürften, wenn wir nur einigermaßen ein bisschen Grips im Hirn behalten. Und er diskriminiert gleichzeitig alle Frauen, weil ihnen im Umkehrschluss lediglich abverlangt wird, schön zu sein.

Es soll ja tatsächlich Männer geben, denen das genügt. Wir anderen sollen uns dann beim Anblick schöner Frauen oder gar bei ersten Kontakten mit ihnen Charakter und Esprit - als sekundäre Tugenden - wohl dazu wünschen, falls man(n) es nicht besser weiß. So schrieb etwa der Ostzonenautor Hennig Pawel, der dann bald nach der Wende wegen seiner Stasikontakte zu Recht in Acht genommen wurde, nach dem - ungewohnten - Genuss einer von uns gleich nach dem Fall der "innerdeutschen Grenze" für ihn als Geschenk mitgebrachten Flasche Johnnie Walker während einer Lesung in Erfurt meiner Frau eine Widmung in sein gerade erschienenes Kinderbuch "Joschkas Hund", die genau das zum Ausdruck brachte: "Der sicher auch sehr klugen, aber gewiss schönen Marie. Henning Pawel."

Beobachtungen in Fußgängerzonen, Restaurants oder Kaufhäusern legen allerdings den Schluss nahe, dass sich noch immer eine große Zahl von Männern unserer Altersklasse an der provokanten Maxime aus den 50er-Jahren des vorigen Jahrhunderts, wonach sie nicht "schön" zu sein bräuchten, orientiert. Denn da ziehen auf viele individuelle Arten schöne - und sicher meist auch kluge - Frauen unserer Altersklasse Typen hinter sich her, die zu ihnen passen wie eine Fanta zu Seeteufelmedaillons in Safranjus. Exemplare der Gattung Mann also, die Kleidung nur zur Bedeckung ihrer natürlichen Blöße und zum Schutz vor Kälte tragen, ihre schütteren Haare zweimal im Monat waschen und dann mit Taft über ihren Halbglatzen stabilisieren, anschließend lächerliche Hüte oder Kappen daraufsetzen und glauben, dass Kosmetikserien für Männer nur etwas für Schwule seien.

Ich jedenfalls schäme mich für diese Männer; sie sind eine Schande für unser Geschlecht. Und ich frage mich beim Anblick dieser Männer immer wieder: Warum macht ihr Frauen das mit? Aus Gewohnheit? Weil er euch längst egal ist? Weil er bezahlt? Wegen der Kinder? Aber die sind doch längst aus dem Haus. Gerade wir älter werdenden Männer müssen aber auf uns achten; natürlich auch in Ihrem (eurem) Interesse. Ich jedenfalls will auch mit 70 plus - wenn ich so alt werden sollte - nicht aussehen wie heute Norbert Blüm oder Karl Dall; gerne aber mit so viel Eleganz (im besten Wortsinn), Esprit, Gelassenheit und Geschmack die letzte Phase des Lebens bewältigen wie Leonhard Cohen (74) oder Robert Redford (72). Auch wir brauchen schließlich noch Ideale. Das Äußere als Spiegelbild der inneren Verfassung; diese Einheit herstellen, das ist das Ziel. Wer sich dagegen gehen lässt, gibt sich auf. Also arbeiten wir an uns.

Burt Lancaster (Jahrgang 1913; gestorben 1994) etwa wusch sich jeden Morgen das Gesicht mit Eiswasser; und sah mit 70 plus noch aus wie einst als Roter Korsar mit 40 minus. Gab es jemals in der Filmgeschichte einen schöneren, kultivierter auftretenden und geistvolleren älteren Mann als Lancaster in dem Meisterwerk "Der Leopard" von Visconti nach dem Roman von Tomasi di Lampedusa über den Untergang des Feudalismus im Sizilien des 19. Jahrhunderts? Verlieren Sie also keine Zeit. Gehen Sie heute noch in den nächsten Kosmetiksalon; lassen Sie sich beraten. Und Kaufen Sie sich zu Ihnen passende Kleidung. Männer nämlich haben auch schön zu sein (oder wenigstens gut auszusehen) und über Charakter zu verfügen; so wie Frauen sowieso. Dann erst ist richtig Genderzeit. Und alles wird gut.

Rein: CD Paolo Conte, "Psiche". Antiquariat: Vergil, Sämtliche Werke (Heimeran).

Raus: Wieder nix.

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2 Kommentare

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  • S
    Sonntag

    Doch, ich stimme dem Artikel zu. Es gibt eine Wechselwirkung von Innen und Außen. Wer auf sich achtet, drückt damit seine Selbstachtung aus, und der Ausdrück "Stylingfetischist" ist meines Erachtens eine völlig unnötige Polarisierung. Es geht um ein Sowohl-als-auch und nicht um ein Entweder-oder!

  • 5
    50-

    Ich kenne eine Reihe alter Menschen, die authentischere und spannendere Persönlichkeiten sind als die gähnendlangweilige Stylingfetischisten. So auch der Schreiber, der eigentlich nichts zu sagen hat als die Botschaft: am Leben bin ich nicht interessiert, wenn es nicht verstylt eine enge Lebenswelt widerspiegelt. Möglicherweise ein junger Schreiber, der das Leben nur aus der Stylingsicht kennt und dabei keinen weiteren Zugang zum spannenden Leben hat. Auch er muß alt werden. Viel Spaß dabei, aber verschone demnächst die Welt mit engstirnigen Befindlichkeiten!! Ein unter-50-Schreiber