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Kolumne Älter werdenDer Vertreter und das Böse

Ambros Waibel
Kolumne
von Ambros Waibel

Bevor ich Kinder hatte, war ich liberal: Warum Fahrradfahrer zwar nicht als "Gutmenschen", aber dafür als Bessermenschen beschimpft werden dürfen.

L iebe 68er-Genossinnen und -genossen (undogmatisch) links, ich bin die Vertretung, also die Hilfsperson, die dem Vertretenen in dessen Abwesenheit die Teilnahme am Rechtsverkehr ermöglicht. Entschuldigt abwesend ist der Kollege Klaus-Peter Klingelschmitt, wir wünschen schöne Ferien und merken uns den Begriff Verkehr - den brauchen wir gleich.

Sie als Mit68er anzusprechen habe ich mir gestattet, weil ich im Jahr 1968 geboren bin. Wäre mein Vater beim damaligen Bewusstseinsstand der Bevölkerung auf die Idee gekommen (er wäre nicht mal auf die IDEE gekommen), sich zu meiner Mutter ins Schwabinger Krankenhaus mit dem Fahrrad zu begeben (wir sind jetzt schon mitten im Thema: Verkehr), womöglich noch zusammen mit meinen damals fünf beziehungsweise drei Jahre alten Brüdern - man hätte ihn für wunderlich gehalten. Mein Familie besaß zwei VW Käfer, Rad fahren war etwas für den Sonntagsausflug, für arme Leute, Studenten und andere Spinner (tschuldigung).

Heute hingegen: ist Fahrradfahren ganz toll, gesund, öko und hip, es hat einfach das Recht auf seiner Seite - deswegen sind so viele Fahrradfahrer solche Arschlöcher. Aber langsam, die Wahrheit ist immer konkret, so habe ich es in der Schule von 68ern gelernt: Die Fahrradfahrer werden zum Beispiel immer schneller. Darauf ist unser Verkehrssystem nicht eingestellt.

Bild: Alexander Janetzko

AMBROS WAIBEL ist Redakteur im taz-Meinungsressort.

Es gibt heute den Typus des Fahrradpendlers, der mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von über 30 Stundenkilometern täglich zur Arbeit düst. Dieser Mensch möchte als gleichberechtigter Verkehrsteilnehmer anerkannt werden, findet sich aber oft genug auf einer von Wurzeln durchwachsenen Buckelpiste ("Fahrradweg") wieder, eingeklemmt zwischen parkenden Autos, unaufmerksamen Fußgängern, Hunden oder gar (Augen zuhalten) Kindern. Weicht er auf die Straße aus, so darf er sich anpöbeln lassen, weil er den "Fahrradweg" nicht benutzt; muss er aber nur, wenn dieser Weg in Fahrtrichtung mit den blauen Verkehrsschildern mit Fahrradsymbol gekennzeichnet ist. Und wer hat das wann erfunden? Genau, die Nazis wieder, mit ihrer Reichs-Straßenverkehrs-Ordnung vom 1. Oktober 1934.

Krieg mit besonderer Heimtücke

Der Fahrradfahrer ist also nicht per se böse, und schon gar nicht wollen wir ihn hier wie die Mietschreiber von der Springer-Presse als "Gutmenschen" beschimpfen. Als Bessermenschen allerdings schon. Denn Autofahren macht in den Innenstadtbezirken Berlins und Münchens ("Leben kann man nur in Lutetia, der Rest Galliens ist für die Wildschweine", aus "Asterix, Lorbeeren des Cäsar") schon lange keinen Spaß mehr, der Krieg wird hier wie jeder nicht offiziell erklärte mit besonderer Heimtücke geführt. Da die Radler die potenziell Unterlegenen sind, laden sie ihren Frust bei den Fußgängern ab.

Gentrifizierung bedeutet heute nicht zuletzt, dass junge Menschen auf Mörderbikes ältere Menschen (wie Sie, genau!), Hunde und (Augen zuhalten) Kinder vom Trottoir smashen. Schließen möchte ich heute mit einem Satz meines Vaters: "Bevor ich Kinder hatte, war ich liberal."

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Ambros Waibel
taz2-Redakteur
Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.

5 Kommentare

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  • T
    Toby

    Also aus der Herleitung der verbindlichen Radwege aus der Nazi-StVo hätte sich doch polemisch mehr machen lassen!

     

    Davon abgesehen: was sie über den 30 km/h Berufswegeradpendler schreiben ist präzise meine Situation und ich würde mir wünschen, daß das mal jenseits einer launigen Kolumne zielführend behandelt wird. Momentan ist es so, daß ich ein Fahrzeug habe, für das es weder TÜV, noch Führerscheine, noch Geschwindigkeitsbegrenzungen gibt, obwohl es oft schneller ist, als manche Mopeds, aber de facto auch nur Wege, auf denen ich entweder mein Leben oder das anderer gefährde. Totales Regelungs- und Verkehrswegevakuum.

    Und das im angeblich so regelungs- und planungswütigen Deutschland.

    Dafür aber ganz viel Aggression auf allen Wegen und gelegentlich eine hübsche Springerhetze.

  • H
    Harald

    Im Artikel wird das Problem genannt: Radwege sind häufig nicht geeignet für Geschwindigkeiten um die 30 km/h. Stress und Fehlverhalten wird es immer geben. Bei Radfahrern, bei Autofahrer, bei Fußgängern und diversen anderen gerade populären Verkehrsmitteln.

     

    Besser wird das vor allem durch eine fahrradfreundliche Stadtplanung (und vielen Radfahrern - damit auch die Fußgänger mit ihnen rechnen).

  • M
    maxe1111

    Na, wenn wir mal ehrlich sind, sind so ziemlich alle Verkehrsteilnehmer rücksichtslose Arschlöcher, die Null Respekt vor den Verkehrswegen des anderen haben.

    Fußgänger latschen ja umgekerht auch genauso aufm Radweg rum und sind auch noch beleidigt, wenn man klingelt.

     

    Hier dürften wohl die Autofahrer in beiden Richtungen noch am besten wegkommen. Nicht aufgrund einer moralischen Überlegenheit sondern aufgrund der relativen Gefährlichkeit:

    Die anderen hüten sich, einem Auto in den Weg zu fahren weil sie dann ganz einfach Matsche wären und die Autofahrer hüten sich, anderen in den Weg zu fahren, weil sie dann so gut wie immer schuld und womöglich noch ein Leben auf dem Gewissen hätten.

     

    Bei allen Verkehrsmitteln, die sich unterhalb dieser immer lebensgefährlichen Gefahrenkategorie abspielen, dissen sie sich doch alle gegenseitig, was das Zeug hält; weil sie immer auch ne Chance haben, damit durchzukommen.

     

    Da wolln wa doch mal ehrlich bleiben.

  • V
    vic

    Danke für die "Mietschreiber der Springer-Presse", ie hab ich auch gefressen.

    Doch leider - viel zu oft gehört und gelesen, das.

     

    vic, Radafahrer und weder Gut-noch Bessermensch.

  • L
    Letterman

    Nach oben buckeln, nach unten treten - das gleiche wie immer. Radfahrer sind und bleiben halt "Radfahrer"!