Kolummne Fernsehen: Das Lager der Anderen

Gibt es eigentlich die "bürgerlichen Parteien", von denen so gerne geredet wird? Gedanken über einen Kampfbegriff.

Endlich ist die Welt wieder geordnet. Die anachronistisch lange Zeit der Amtsübergabe in den USA ist vorbei, und in Hessen hat die Bevölkerung dem bürgerlichen Lager eine Mehrheit verschafft. Wem? Dem bürgerlichen Lager, ich schrieb es doch bereits! Was ist daran schwer zu verstehen? Ist ja keine ungewöhnliche Formulierung, im Gegenteil. Sie hat sich - eingebürgert.

Nur sehr wenige der Berichterstatter, die am Wahlabend in eine Kamera hineinsprechen durften, sind ohne diese Einordnung von CDU und FDP ausgekommen. Anders ausgedrückt: Unabhängige Journalistinnen und Journalisten plappern gedankenlos einen politischen Kampfbegriff nach. Das ist die wohlwollende Interpretation. Weniger wohlwollend ausgedrückt: Sie machen ihn sich zu eigen.

Wenn es ein bürgerliches Lager gibt, dann muss es auch ein anderes Lager geben. Zu dem also - wenn denn in Hessen die "Bürgerlichen" gewonnen haben - die SPD, die Linke und die Grünen gehören. Was sind die? Eine revolutionäre Bewegung mit dem Ziel, den Arbeiter- und Bauernstaat zu schaffen? Da lachen ja die Hühner. Das glauben doch nicht einmal die Intendanten von MDR und Bayerischem Rundfunk.

Es ist nicht anzunehmen, dass den Zuschauern mitgeteilt werden sollte, die Bourgeoisie habe die Landtagswahlen gewonnen. Obwohl dafür manches spricht. Aber der Bourgeois ist kein Sympathieträger und kommt deshalb in der öffentlichen Debatte schon lange nicht mehr vor. Mit dem Bürger ist stets der Citoyen gemeint, der Staatsbürger im Sinne der Aufklärung. Den repräsentieren also nur FDP und Union? Da sollten die Hühner auch lachen. Tun sie aber nicht. Leider.

Die Rechte, die sich das Bürgertum in der Französischen Revolution erkämpft hat, gelten heute als Menschenrechte. Möchten jene Journalisten, die in Deutschland vom "bürgerlichen Lager" sprechen, den "Anderen" unterstellen, die Gültigkeit dieser Rechte in Frage stellen zu wollen? Sie sind wohl nur dankbar dafür, dass es einen anderen Ausdruck für "schwarz-gelbe Koalition" gibt.

Es war ja schon in der Schule so, dass man bei Aufsätzen dieselben Ausdrücke nicht allzu häufig wiederholen durfte, deshalb sind Synonyme prima. Auch in der Schule wusste man schließlich selbst nicht immer, was man da eigentlich so sagte oder schrieb. Ganz genau wie später wie im Fernsehen.

Die Zeiten, in denen "bürgerlich" ein Schimpfwort war, sind vorbei. Heute gilt das Bürgertum wieder als das Rückgrat der demokratischen Gesellschaft. Weshalb das Gerede vom "bürgerlichen Lager" als Mittel der Eingemeindung aller klugen Rechtschaffenen und der Ausgrenzung sinistrer Gestalten besser funktioniert als jede noch so gut gemachte Werbekampagne vor einer Wahl. Das Klassenbewusstsein als positiv besetzter Begriff ist nämlich - zumindest in Westdeutschland - von der Verheißung einer allumfassenden Mittelschichtgesellschaft abgelöst worden. Spätestens mit dem Godesberger Programm der SPD 1959.

Ausgerechnet diese SPD, die einem parteiübergreifenden Konsens der Gesellschaft über das Staatsverständnis den Weg bereitet hat, lässt sich jetzt widerstandslos ins begriffliche Abseits drängen. Und merkt es offenbar nicht einmal. Auf Proteste gegen den unsinnigen Begriff des "bürgerlichen Lagers" wartet man jedenfalls vergebens.

Die Sozialdemokraten haben es ja auch nicht so mit sprachlicher Präzision. "Unterschicht" sei eine Formulierung "lebensfremder Soziologen", sagte Franz Müntefering vor einigen Jahren. "Es gibt keine Schichten." Eine Mittelschicht gibt es aber schon, gell? Und wo ist die Mitte, wenn es weder oben noch unten gibt? Rechts und links gibt es bekanntlich auch nicht. Die SPD will nicht links sein, die Union nicht rechts. Schwierig, das. Ohne Klärung des eigenen Selbstverständnisses steht man Ausgrenzung ziemlich wehrlos gegenüber. Zumal dann, wenn willige Helfer - lies: Journalistinnen und Journalisten - nicht einmal zu wissen scheinen, was sie tun.

Fragen zum Citoyen? kolumne@taz.de Montag: Adrienne Woltersdorf ist Overseas

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Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

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