Koch bleibt Hessens Regierungschef: Neues Spiel ohne Blutgrätsche
Fußballmetaphorik und staatstragende Töne: In der ersten Sitzung des neuen hessischen Landtags bremsten sich die Gegner. Regierungschef Koch (CDU) kuschelte mit den Grünen.
WIESBADEN taz Wenn sonst nichts passiert, gewinnt ein Schlips an Wichtigkeit. Die lachsfarbene Manneszierde des grünen Fraktionschefs Tarek Al-Wazir reüssierte im hessischen Landtag zur Chefsache. Ministerpräsident Roland Koch von der CDU deutete sie als Anpassungsleistung an bürgerliche Konventionen und Signal der Bereitschaft zur schwarz-gelb-grünen Jamaika-Koalition. Nichts da, beschied der Grüne, Krawatte trage er nur alle fünf Jahre zur Landtagsinthronisation und jährlich einmal am 1. Dezember zu Ehren des Verfassungstages.
So versöhnlich ist es im Wiesbadener Landtag seit Jahren nicht mehr zugegangen, und das ausgerechnet zu einem Termin, der lange bundesweit mit Spannung worden war: Die konstituierende Sitzung des Parlamentes lief am Samstag unspektakulär ab. Die vorsorglich vorbereiteten Stimmzettel für die Wahl des Regierungschefs blieben ungenutzt, die Urnen leer. Von Anfang an war klar, dass Punkt 14 der Tagesordnung, die Wahl des Ministerpräsidenten, mangels Mehrheiten entfällt und sich damit auch Vereidigung und Vertrauenserklärung von selbst erledigen. Der alte Regierungschef Koch wird samt Ministerriege, wenn auch nur noch geschäftsführend, der neue sein. Streit um Parlamentsämter und Finanzen waren im Vorfeld kurzfristig beigelegt worden.
Zu Beginn der Sitzung im nach drei Jahren Bauzeit neu eingeweihten, runden Plenarsaal hatte Alterspräsident Horst Klee bunte Plastikherzen an alle Abgeordneten der nun fünf Parteien verteilt, in vier Farben, zweimal Rot, Gelb, Grün und Schwarz. Auf jedem stand die eher unverbindliche Mahnung: "Mit Herz und Verstand". FDP-Chef Jörg-Uwe Hahn brachte die Situation des Plenums knapp auf den Punkt: "Alles bleibt so, wie es war. Und doch wird alles ganz anders."
Zumindest am Samstag überwog das Neue im Landesparlament. Alle Fraktionsvorsitzenden bremsten sich bei ihren Antrittsreden und bemühten dabei vorwiegend Bilder aus dem Fußballsport. Koch umwarb die Grünen, gab sich aber auch gegenüber der SPD moderat. Er wolle "die Zusammenarbeit mit allen demokratischen Fraktionen dieses Hauses" und rufe die rot-rot-grüne Parlamentsmehrheit deshalb zur Loyalität gegenüber der Regierung auf. Er sehe sich als Sachwalter zum Wohle des Landes. Die geschäftsführende Regierung dürfe von der Opposition nicht nach Fußballerart gepiesackt werden. "Wenn wir hier nicht gewinnen können, dann treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt" - so dürfe es nicht laufen.
SPD-Chefin Andrea Ypsilanti erinnerte an die gegenseitigen Verletzungen: "Ich glaube, der Rasen ist in den letzten Monaten schon arg strapaziert worden." Sie schlug vor, beim neuen Match ohne falsche Stollen an den Schuhen zu spielen. So weit mochte der Grüne Al-Wazir nicht gehen: "Es kommt darauf an, auf die Blutgrätsche zu verzichten." Alle Fraktionen gaben sich staatstragend und empfahlen den jeweils anderen Mäßigung, Koch mit jovialem Gestus, Ypsilanti tüchtig und beflissen, Al-Wazir elegant und gelassen, Hahn mit dem Ton des einzig wahren Oppositionellen.
Auch für die Parlamentsneulinge der Linkspartei geriet ihr erster Auftritt unspektakulär. Sie absolvierten brav alle Abstimmungs- und Beifallsrituale. Das Parlament nahm sie wesentlich gelassener auf als 1982 die Grünen. Die knallroten Taschen mit der Aufschrift "Hier ist die Linke" wurden geflissentlich ignoriert. Er verstehe seine Partei, sagte Fraktionschef Willi van Ooyen, als "einen Bestandteil der außerparlamentarischen Bewegung". Al-Wazir kündigte als Probe aufs Exempel für die neue Konstellation Anträge zur Bildungs- und Energiepolitik und zur Abschaffung der Studiengebühren an. Nach einer Emnid-Umfrage sind 65 Prozent der befragten Hessen für Neuwahlen.
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