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KoalitionsstreitInsolvenz als Wahlkampfchance

Einmütig ließ die Bundesregierung den Arcandor-Konzern fallen. Trotzdem kämpfen Union und Sozialdemokraten jetzt um den politischen Profit.

Ausgestorben, als wäre da nie was gewesen: Parkplatz am Karstadt in Mülheim an der Ruhr einen Tag nach der Insolvenzanmeldung. Bild: ap

BERLIN taz | Nachdem die Berliner Koalitionspartner einvernehmlich darauf verzichtet hatten, den Handelskonzern Arcandor durch die Gewährung von Staatshilfen vor der Insolvenz zu bewahren, haben sie sich am Mittwoch einen Grundsatzstreit über Insolvenzen und die Rettung von Arbeitsplätzen geliefert.

"Es kann doch nicht sein, dass der Arbeitsminister für Arbeit kämpft und der Wirtschaftsminister für Insolvenzen", sagte SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier der Bild-Zeitung. Arbeitsminister Olaf Scholz gehört der SPD an, Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg der CSU. Fast wortgleich sagte Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD): "Es darf keine Arbeitsteilung im Kabinett geben: Der eine kämpft um Arbeitsplätze und der andere spricht von Anfang an von möglicher Insolvenz."

Die beiden SPD-Politiker machten in ihren Äußerungen allerdings deutlich, dass sie im Fall Arcandor die Schuld nicht beim Bundeswirtschaftsminister, sondern auf der Kapitalseite sehen. "Die Rettung von Arcandor ist misslungen, weil Unternehmensspitze und Anteilseigner am Ende nicht mitgezogen haben. Ich bedaure das sehr", sagte Steinmeier. Die Eigner und Vermieter bei Karstadt seien nicht bereit gewesen, einen "deutlichen Schritt in Richtung Rettung des Unternehmens" zu gehen, sagte Tiefensee. Der Verkehrsminister fügte jedoch hinzu, es bestehe "jetzt mehr als vor längerer Zeit die Möglichkeit, dass eine Insolvenz ein solides Fundament für ein Unternehmen sein kann". Vor kurzem hatte die SPD Guttenbergs Auffassung, eine Insolvenz könne auch eine Chance sein, noch schroff abgelehnt.

Der mit Spitzenbeamten der Regierung besetzte Lenkungsausschuss des "Wirtschaftsfonds Deutschland" hatte am Montag einstimmig die Gewährung staatlicher Bürgschaften und Kredite abgelehnt. Eine letzte Frist zur Verbesserung des Antrags hatte der Konzern nicht genutzt, sondern stattdessen am Dienstag einen Insolvenzantrag gestellt.

Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Bosbach, bezeichnete die Vorwürfe der SPD-Minister als "Schwachsinn". Guttenberg selbst verteidigte das Vorgehen im Fall Arcandor in derselben Ausgabe der Bild-Zeitung wie Steinmeier. "Wenn Eigentümer und Gläubiger nicht bereit sind, Risiken zu übernehmen, kann man diese doch nicht dem Steuerzahler aufbürden", sagte er.

In der Union wird das schwache Abschneiden der SPD bei der Europawahl als Signal gewertet, dass die Rufe der SPD nach umfangreichen Staatshilfen für notleidende Großkonzerne in der Bevölkerung keinen breiten Anklang finden. Hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im Fall Opel noch aus Angst vor der Wählergunst dem Drängen der Sozialdemokraten nachgegeben und war über die Rufe des eigenen Wirtschaftsministers nach einer Insolvenz hinweggegangen, agierte sie im Fall Arcandor nach dem Wahlergebnis von Sonntag offenbar sorgloser. Offiziell wird der Verzicht auf die Kaufhausrettung allerdings mit der mangelnden Bereitschaft der Kapitalvertreter begründet, sich selbst finanziell zu engagieren.

CDU und CSU selbst glauben dagegen, mit der bisherigen Doppelstrategie gut zu fahren. Während Wirtschaftsminister Guttenberg das Lied der freien Marktwirtschaft singt, springen gleichzeitig die CSU-Parteifreunde Horst Seehofer und Markus Söder für den im fränkischen Fürth beheimateten Quelle-Versand in die Bresche, der gleichfalls zum insolventen Arcandor-Konzern gehört. Auch Merkel selbst sieht kein Problem darin, bei Opel trotz erheblicher Unklarheiten über das angestrebte Modell auszuhelfen und bei Arcandor die Hilfe zu verweigern. "Wir werden gewählt, weil wir uns die Entscheidung nicht leicht machen", sagte sie am Montag zum Ergebnis der Europawahl.

Der sozialdemokratische Koalitionspartner sieht sich durch dieses Vorgehen der Union vor ein strategisches Dilemma gestellt. Dem Untergang gerade von Großkonzernen mit starker Gewerkschaftsbindung kann sie im Wahlkampf kaum tatenlos zusehen. Treibt aber SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier, wie es im Fall Opel geschah, die Kanzlerin zu staatlichem Eingreifen, wird der Erfolg Merkel zugeschrieben.

Ein Ende des Wettlaufs von SPD und Union bedeutet eine Insolvenz jedenfalls nicht. Am Mittwoch trafen sich sowohl SPD-Arbeitsminister Scholz als auch CSU-Wirtschaftsminister Guttenberg mit Betriebsräten von Arcandor.

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