Kniend durch Gefühlsbrei

Mit ihrer Band „Ich & Ich“ steht Ex-Ideal-Frontfrau Annette Humpe nach über 20 Jahren wieder auf der Bühne. Beim Konzert im Kesselhaus erlösten aber nur die alten Hits von allzu gut geöltem Soulpop

VON CHRISTIANE RÖSINGER

Im letzten Jahr war ihr Auftritt mehrmals verschoben worden, aus organisatorischen Gründen hieß es, man sei noch nicht so weit. Vielleicht hat sich Annette Humpe aber auch ein wenig vor der Rückkehr auf die Bühne nach über 20 Jahren gefürchtet. Dabei hatte sie zu Ideal-Zeiten immer so selbstbewusst, kühl, fast arrogant gewirkt!

Annette Humpe war 1980 mehr als die Sängerin einer NDW-Band, sie war ein Role Model für junge Frauen: eine spröde Sängerin, die aufregende, sprachlich präzise Texte schrieb, die komponierte und Instrumente beherrschte, die in einer Band die Hauptrolle spielt, ohne dabei niedlich sein oder sexy posieren zu müssen. In Interviews gab sie sich schroff, aber klug. Dann lösten sich Ideal 1983 nach nur drei Platten auf, und Annette Humpe produzierte Rio Reisers erste Soloplatte, schrieb Texte für die Prinzen, immer ein wenig platter als nötig, und produzierte ihre Alben. Man hatte sie zuvor in der Berliner Subkultur verortet, und jetzt war sie „mainstreamig“ und kommerziell erfolgreich geworden. Wenn sie nun, mit über 50, mit dem Projekt „Ich und Ich“ ein „Comeback“ startet, verlangt das Respekt. Schließlich sind Frauen über 35 sonst ja nur im Chansonfach zugelassen, sieht man von den Erfolgsmodellen Tina Turner und Madonna einmal ab. Zusammen mit dem Sänger Adel Tawil beackert Annette nun ein Genre namens deutscher Soul-Pop. Xavier Naidoo, der Erfinder dieser Stilart, findet ja immer wieder sehr gute, schöne Popmelodien, um sie dann aber leider mit allzu salbungsvollen Texten zu versehen. Auch Ich-und-Ich- Songs leben von starken eingängigen Melodien, Gott an sich ist ihnen kein Thema, dafür malen sie ein recht düsteres Menschenbild: Das Individuum quält sich mit Fragen und Zweifeln – Was soll das alles? Hat das Leben noch einen Sinn? – und kann natürlich nur in der Liebe Erlösung finden.

Ich und Ich sind ein Duo der Gegensätze: Jung-Alt, Mann-Frau, Hell-Dunkel. Im ausverkauften Kesselhaus am Montag verstärkten Soundeffekte noch die Kontraste: Tawils Sprechgesang dröhnte rammsteinartig, während Humpes Stimme mickymausig aus den Boxen kam.

Das vorwiegend weibliche Publikum aus Enkelinnen und Großmüttern störte nichts. Die Girls standen kichernd in der ersten Reihe, sangen mit und himmelten ab und zu Sänger Adel Tawil an. Die älteren Damen hatten es sich auf den seitlichen Podesten bequem gemacht. Dazwischen verknoteten sich ab dem ersten Konzertton diese unvermeidlichen Pärchen zu menschlichen Klumpen.

Adel Tawil, nett lächelnd, dabei aber immer ein wenig einfältig wirkend, machte typische HipHop-Handbewegungen, als es zum sprachlich ungewöhnlichen Hit „Dienen“ kam: „Auch du wirst irgendwann jemandem dienen, jemandem der weicher ist und zarter als du.“ Da sangen die Omis auf dem Podest, die doch so aussahen, als hätten sie ihr Leben lang genug gedient, begeistert mit. Und so weiter Lied um Lied: Auf der Videoleinwand spalten sich Blüten prismenartig, tun sich Wüsten und Meere auf und Tawil singt von Gärten, Wüsten, Meeren, Herzen und Einsamkeit, Humpe flötet beim Refrain ab und an die hohe Stimme dazu. „Umarme mich!“, fordert Tawil im letzten Lied, und schon ganz weichgekocht von dem ganzen Schmu will man auf der Suche nach Erlösung zum Ausgang streben.

Aber da kündigt Tawil zur Zugabe „ein paar ideale Lieder“ an. Tatsächlich erklingt der eher schwächere Ideal-Song „Monotonie in der Südsee“. Annette Humpe stellt ihre Band vor – als Perkussionist ist der frühere Ideal-Schlagzeuger Hans Behrendt dabei. Und dann kommt tatsächlich noch F.J. Krüger auf die Bühne. Krüger, der sich zu Ideal-Zeiten ja gerne älter gemacht hatte, hat nun sein wahres Alter erreicht, sich aber trotzdem kaum verändert: Korrekt gekleidet mit Anzug und Hut, beherrscht er noch den idealtypischen elektrisierenden Gitarrenanschlag. Da verliert auch Humpe ihre Zurückhaltung: Zum ersten Mal an diesem Abend, so scheint es, hört man ihre wirkliche Stimme mit allen NDW-Manierismen und der gespielten Zickigkeit: „Deine blauen Augen, die machen mich so sentimental, so blaue Augen.“ Ach, tut das gut, nach dem ganzen Gefühlsbrei mal ein wütendes, fast genervtes Liebeslied zu hören! Die Älteren im Saal drehen durch vor Freude, die Jüngeren stehen etwas teilnahmslos dabei und wundern sich, warum die Alten plötzlich so abgehen.

Leider währt das Revival nur ein Stück lang und die zweite Zugabe geben wieder „Ich und Ich“ – mit einer triefenden Akustik-Version von „Du erinnerst mich an Liebe“, teilweise auf Knien gesungen.