Klitschkos WM-Kampf: Altgerät vor Entsorgung
Im 15. WM-Kampf stößt Wladimir Klitschko auf einen schwer kalkulierbaren Herausforderer: US-Boxer Hasim Rahman. Dessen letzter großer Coup liegt schon einige Jahre zurück.
Am Montag döste der Löwe noch. Die langwierige Anreise aus dem heimatlichen Baltimore steckte Hasim "The Rock" Rahman offensichtlich in den schweren Knochen, als er gegen Mittag im pfälzischen Oggersheim an einen merkwürdigen Schauplatz geführt wurde. In einem weitläufigen HiFi- und Elektromarkt, auf Höhe der neuesten Waschmaschinen, war ein breites Podium mit allerhand Mikrofonen aufgebaut. Darauf saßen bereits ziemlich viele würdevoll dreinblickende Gestalten, die auf ihn gewartet hatten. Und diese wiederum wurden nicht nur von einer Hundertschaft Fotografen und Journalisten, sondern außerdem von einigen tausend Neugierigen observiert, die hinter Absperrungen ihre Hälse reckten.
So seltsam kann die Woche eines Berufsboxers beginnen, wenn er von der Ostküste der USA nach Deutschland kommt. Der kleine Flecken im Herzen von Europa verwandelt sich nämlich vor schwergewichtigen Kämpfen regelmäßig in "Klitschko Country", wie Rahmans Manager Steve Nelson bemerkte. Dann schwenken aufgedrehte Zaungäste ukrainische Fähnchen, und emsige TV-Teams verhaken sich mit ihren Kameras und Kabeln ineinander, als gäbe es kein Morgen mehr. Wladimir Klitschko alias "Dr. Steelhammer" zieht weiterhin mehr Aufmerksamkeit an als jeder andere Faustkämpfer, den die Deutschen zu sehen bekommen - auch wenn seine Vorstellungen im Ring nicht immer beste Unterhaltung bieten.
Doch selbst der strahlendste TV-Quotenkönig braucht von Zeit zu Zeit einen Widerpart, der ihm gefährlich werden kann - gerade wenn ein aufstrebender Pflichtherausforderer wie der Russe Alexander Povetkin wegen Verletzung kurzfristig passen musste. Am Samstagabend, wenn Klitschko seine ansehnliche WM-Gürtelsammlung von IBF, WBO und IBO freiwillig riskiert, soll in Mannheim schließlich eine 13.000 Zuschauer fassende Großarena gefüllt sein; das ist kein leichtes Unterfangen bei ausgesprochen sportlichen Ticketpreisen. Da wäre es nur lukrativ, wenn der Gegner aus den Staaten den präpotenten Finsterling geben würde, als der mancher seiner erfolglosen Vorgänger hierzulande auftrat.
Fäuste aus Granit
Mr. Rahman aber blinzelte friedlich vom Podium, wenn er seinen Kopf überhaupt mal aus der Armbeuge erhob. Und als er am Rednerpult eine "Great Performance" für den Gipfel in Mannheim versprach, klang er wie ein Schlafwandler um halb drei. So blieb es dem renommierten Trainer Emanuel Steward vorbehalten, die brisanten Qualitäten des 36-jährigen Ex-Champions ausgiebig zu preisen. Der Mann, den sie Felsen nennen, hat schließlich Fäuste aus Granit - und eine K.o.-Quote von knapp 67 Prozent. Er ist laut Steward "ein Fighter, der den Kampf sucht", sowie auch nach 54 Kämpfen (45 Siege, zwei Remis) weiter "der derzeit gefährlichste One-Punch-Fighter in der Weltspitze".
Das waren sehr aufmerksame Worte, denn der berühmte Boxlehrer aus Detroit hat nicht Rahman, sondern Klitschko trainiert - und dem erzählte er während des fünfwöchigen Trainingscamps auf Mallorca ausgiebig von jenem unheilvollen Abend im April 2001. Damals reiste Steward mit seinem amtierenden Champion Lennox Lewis ins südafrikanische Brakpan und musste zusehen, wie sein allzu unbesorgter Schützling in der Arena eines Casino-Hotels von Rahman ausgeknockt wurde. Ein, zwei krachende Treffer zum Kopf reichten dem respektlosen Underdog, um den turmhohen Favoriten in knapp fünf Runden vom WM-Thron zu stürzen.
Rahman wurde nur eine Zwischengröße in der Geschichte seiner Klasse. Er hat selbst nicht das stärkste Kinn, wenn er getroffen wird, sagen sie in Amerika, und ging im Rückkampf gegen Lewis sieben Monate später schwer zu Boden. Als er in 2005 noch mal kurzfristig an den vakanten WBC-Gürtel kam, profitierte er von orthopädischen Handicaps, die Wladimirs Bruder Witali vorerst zum Rücktritt zwangen. Dennoch sind Kopfjäger wie er oder Lamon Brewster für den technisch überlegenen Wladimir Klitschko eine latente Gefahr: weil sie bei allen Defiziten eine Urgewalt in den Ring bringen, die den feinnervigen Doktor der Sportwissenschaften physisch wie mental durchaus erschüttern kann.
Stahlhammer trifft Fels
Er müsse sich während der Vorbereitung erst "wie ein Schauspieler" in die Rolle des unerbittlichen Kämpfers hineinfühlen, gestand Klitschko gerade in einem Interview für den Vertragssender RTL - "normalerweise bin ich nicht der Mensch, der dort im Ring steht". Dieser Umstand macht den 32-jährigen Titelverteidiger (54 Kämpfe, 51 Siege) für sein Publikum recht sympathisch und für seine Gegner angreifbar. Bis Samstagabend wird der Fels aus Baltimore seine Müdigkeit wohl abgeschüttelt haben, ahnt Wladimir Klitschko, ab dann rollt pure Aggression auf ihn zu. "Aber dafür habe ich lange geübt", gab er sich in Oggersheim überzeugt und ließ Zweifel wie Waschmaschinen schnell hinter sich. Ein Sortiment hieß übrigens "Markenauswahl", ein anderes "Altgeräte-Entsorgung".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!