Klimaschutz durchsetzen : Klagen statt kleben
Besetzen, blockieren, vor Gericht gehen oder Gesetzespakete schreiben – was bringt am meisten, wenn man Ernst machen will?
Von MARTIN UNFRIED
Gern beschworen, doch bis heute schwer vernachlässigt ist die Energieeffizienz. Totales Fremdwort. Deshalb fahren auch viele noch mit Benzinschluckern und heizen zu Hause mit veralteten fossilen Wärmeerzeugern. Das nennt man Energieverschwendung und es ist klar, dass wir uns diese im Kampf gegen die Klimakatastrophe nicht mehr leisten können. Gleiches sollte eigentlich auch bei den gesellschaftlichen Anstrengungen gelten. Wie hoch ist der Wirkungsgrad einer bestimmten Aktionsform angesichts des knapper werdenden Zeitbudgets? Was bringt eine weitere Demo? Was eine Blockade oder Besetzung?
Kleben, Klagen, Mehrheiten organisieren. Eine Protest-Veranstaltung von taz FUTURZWEI
Mit: Felix Ekardt (Jurist), Rosa Brandt (Mitgründerin des "Future Matters Project")
Moderation: Martin Unfried
Samstag 16 Uhr
Digital in Stream 2
Weitere taz FUTURZWEI-Gespräche beim taz lab
Robert Habeck 10 Uhr
Boris Palmer 12 Uhr
Luisa Neubauer 14 Uhr
Harald Welzer und Peter Unfried 16 Uhr
Infos und Karten: taz.de/tazlab
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat berechnet: Das noch verfügbare faire CO2-Budget Deutschlands für einen 1,5-Grad-Celsius-Pfad läuft 2031 ab, das für 1,75 Grad 2040. Auch diejenigen, die sich gesellschaftlich für eine konsequente Klimapolitik einsetzen, sollten sich deshalb genau überlegen, welche Aktionsformen heute und in den nächsten Jahren die größte Wirkung erzielen könnten. Gerade eine Klimabewegung kann es sich nicht leisten, viel Energie in Protestaktionen zu stecken, die wenig oder gar nichts bringen oder gar kontraproduktiv sind.
Merkwürdig ist, dass es dazu bisher keine wirklich ernsthafte Debatte gibt. Beispiel Lützerath: Demo, Besetzung, Räumung und Auseinandersetzungen mit der Polizei erinnern an die 1980er-Jahre. Beide Seiten werfen sich gegenseitig Gewalt vor. Bei tagesschau.de wird gemeldet, dass 150 Strafverfahren wegen Widerstands gegen Polizeibeamte, Körperverletzung und Landfriedensbruchs eingeleitet worden sind. Die Demonstrantïnnen andererseits sprechen von schweren Verletzungen durch Pfeffersprays, Schlagstock- und Faustangriffe. Dazu kommen Radikalisierungsvorwürfe, Warnung vor Unterwanderung durch Linksextreme, wogegen Luisa Neubauer sich über Polizeigewalt und Kriminalisierung empört.
Doch wie steht es um die Wirksamkeit dieser Aktionsform? Sie bringt Aufmerksamkeit, ja, aber nicht wirklich eine neue, hilfreiche Debatte. Problematisch ist besonders der Retro-Rückfall in die 80er-Jahre. Wütende Besetzer gegen die Staatsgewalt. Zynisch könnte man sagen: alles nach dem Standard-Drehbuch der deutschen Anti-AKW-Proteste plus Widerstandsrhetorik. Und noch zynischer: Der Zweck der Lützerath-Besetzung war die Produktion genau jener Bilder der Gewalt. Der Staat (die Polizei) haut auf den Klimaschutz. Das ist nicht nur problematisch, weil die Aktionsform die vielen Verletzungen von Polizei und Klima-Aktivistïnnen miteinpreist unter »politische Kosten«. Vor allem ist die Haltung problematisch: Hier kämpft eine Minderheit verzweifelt für radikalen Klimaschutz.
Klimaschützerïnnen in Position der Stärke
Werden dadurch gesellschaftliche und politische Mehrheiten gestärkt oder wahrscheinlicher? Werden sie nicht, weil die Haltung und die Erzählung nicht stimmen. Klimaschützerïnnen in Deutschland sind eben nicht im Widerstand, sondern in einer eigentlichen Position der Stärke. Sie vertreten die Verfassung (Klimaurteil), »Law and Order« (Klimagesetz) und Zielvorstellungen wie das Pariser Abkommen, die bereits breite parlamentarische und gesellschaftliche Mehrheiten hinter sich haben.
»KLIMASCHÜTZERÏNNEN IN DEUTSCHLAND SIND EBEN NICHT IM WIDERSTAND, SONDERN IN EINER POSITION DER STÄRKE. SIE VERTRETEN DIE VERFASSUNG, LAW AND ORDER UND BREITE POLITISCHE UND GESELLSCHAFTLICHE MEHRHEITEN.«
Martin Unfried
Das ist die Haltung, mit der Klimaklagen geführt werden. In diesem Sinne war das Bundesverfassungsgerichtsurteil bisher der größte Sieg der Klimabewegung in Deutschland. Es führte unmittelbar zu ambitionierteren Zielen und zur Anpassung der Gesetzgebung, was wohl ein wesentlicher Indikator der Effizienz von Klima-Aktivismus ist. Hinter Klimaklagen steht eine ganz andere und zutreffendere Erzählung als in Lützerath: Es gibt eine Minderheit in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, die konsequenten Klimaschutz immer noch blockiert, und zwar gegen geltendes Recht und die gesellschaftliche Mehrheit.
Da ist beispielsweise der Verkehrsminister, der kein Sofortprogramm vorlegt und damit gegen das Klimagesetz verstößt. Der BUND hat gerade wieder eine Klage eingereicht. Ungünstig ist nun aber, dass vor den Aktionen der Letzten Generation und Lützerath die Blockierer in der Regierung noch heftig in der Defensive waren, weil der eigene Klimasachverständigenrat beispielsweise dem Verkehrsminister Untätigkeit attestierte. Nach Lützerath ist dieser plötzlich aus der Schusslinie und kann die Gefahr der »Radikalisierung« beschwören.
Dabei rückt in den Hintergrund, dass es neben den Klimaklagen auch weitere innovative und selbstbewusste Aktionsformen gibt. Die NGO GermanZero hat mit Expertïnnen ein komplettes 1,5-Grad-Klimaschutz-Gesetzespaket entwickelt mit dem Ziel einer Klimaneutralität im Jahr 2035. Das Dokument hat 1.500 Seiten (!) und legt für sämtlichen Sektoren konkrete Gesetzesvorschläge vor. Der selbstbewusste Anspruch ist, die Politik aktiv durch Know-how zu unterstützen. Wirkt das?
Juristische Mittel für mehr Klimaschutz
Videogespräch mit Lea Nesselhauf, die seit 2020 für GermanZero Klimapolitik macht. Die Juristin gehört mit 26 Jahren zur jüngeren Generation von Klima-Aktivistïnnen und war an den Kapiteln Verkehr, Landwirtschaft und Emissionshandel des Gesetzpakets beteiligt. Sie sieht ihre Rolle im Moment nicht auf der Straße oder im Braunkohlegebiet, sondern im Bereich der Politikberatung und der rechtlichen Dimension des Klimaschutzes. »Ich denke, dass es wichtig ist, auch juristische Mittel für mehr Klimaschutz einzusetzen. Wir brauchen sie für systemische Veränderungen.« Lea Nesselhauf setzt insbesondere darauf, die Regierung an ihre gesetzlichen und verfassungsmäßigen Verpflichtungen zu erinnern. Die Medien täten sich allerdings schwer mit konkreten Gesetzesvorschlägen. »Es geht häufig um sehr komplexe Fragen, die zwar konkrete Auswirkungen auf unseren Alltag haben, aber Expertenwissen voraussetzen und aufwendig aufzubereiten sind.« Verständlich: Welche Talkshow möchte gern die Einzelheiten eines komplexen Gesetzespaketes diskutieren? Der Spin ist bei einer Autofahrer- oder Flughafen-Blockade einfacher zu finden. Lea Nesselhauf sieht diese auch positiv: »Ich verstehe die Motivation, die hinter den Blockade-Aktionen steht. Die Regierung muss endlich die eigenen Verpflichtungen umsetzen. Wobei die Letzte Generation angesichts der großen Dimension der Klimakrise, auf die sie zu Recht hinweist, inhaltlich sogar zu geringe Forderungen stellt.«
»ICH DENKE, DASS ES WICHTIG IST, AUCH JURISTISCHE MITTEL FÜR MEHR KLIMASCHUTZ EINZUSETZEN. WIR BRAUCHEN SIE FÜR SYSTEMISCHE VERÄNDERUNGEN.«
Lea Nesselhauf
Zum Vergleich: Die Letzte Generation ist im Widerstand, bis das Tempolimit kommt, das Verkehrspaket von GermanZero formuliert detaillierte Gesetze für eine umfassende Verkehrswende. Doch die fehlende Talkshow-Tauglichkeit spricht nicht gegen die Aktionsform. GermanZero hat dazu ergänzende Formate entwickelt: Gespräche mit Abgeordneten und Ministerien. Erstere haben sich laut Nesselhauf als nicht immer zielführend gezeigt. »Es ist auch mit Abgeordneten, die ihre Expertise in anderen Bereichen wie zum Beispiel Gesundheit oder Finanzen haben, manchmal nicht so einfach, über konkrete Inhalte eines umfassenden Klimagesetzespaketes zu sprechen.«
Deshalb werden die begrenzten Ressourcen jetzt auch in Gespräche mit Ministerien investiert. Dort sitze viel Know-how, wenn es um die Feinheiten von Gesetzesvorschlägen gehe. »Das große Problem bleibt, dass die Klimaschutzmaßnahmen noch nicht an der Einhaltung des für Deutschland verbleibenden Treibhausgas-Budgets ausgerichtet sind, obwohl das Bundesverfassungsgericht das gefordert hat«, sagt Nesselhauf. »Tatsächlich versucht die FDP gerade sogar, die gesetzlichen Verpflichtungen zur Einhaltung eines Budgets wieder abzuschwächen, weil diese ihnen vor allem im Verkehrsbereich ein Dorn im Auge sind.«
Die Ausarbeitung eines gesamten Gesetzespaketes war als Aktionsform bereits sehr erfolgreich. Der Berliner Aktivist Heinrich Strößenreuther hatte mit der Initiative Volksentscheid Fahrrad vor ein paar Jahren mit Expertïnnen Deutschlands erstes Radverkehrsgesetz geschrieben, das später zum Berliner Mobilitätsgesetz geführt hatte. Nicht überraschend, dass Strößenreuther auch einer der Gründer von GermanZero war.
Ohne gesellschaftliche Akzeptanz geht es nicht
Allerdings fehlt dem Klimagesetzespaket ein wesentliches Druckmittel: Anders als im Land Berlin kann die Initiative auf Bundesebene keinen Volksentscheid oder ein Volksbegehren anzetteln. Erst als nämlich die Politik in Berlin einen Volksentscheid befürchten musste, entschloss man sich zur Verabschiedung des eigenen Gesetzes. Dennoch sind die Formate von GermanZero innovativ. Am 23. April, etwa, ist »Tag der Klimademokratie«, wo Leute ins Gespräch mit Bundestagsabgeordneten kommen können. Und unter dem Begriff »LocalZero« unterstützt GermanZero lokale Teams, die für ihre jeweilige Kommune Konzepte zur Klimaneutralität entwickeln. Hier gehören Initiativen für kommunale Volksentscheide zum Werkzeugkasten, weil sie dort eben möglich sind.
Der große Vorteil von Klimaklagen, Gesetzesinitiativen und Volksentscheiden: Sie stärken den Klimaschutz im Sinne seiner gesetzlichen Voraussetzungen und der rechtstaatlichen Akzeptanz. Und beschäftigen sich konkret mit der alles entscheidenden Frage: Wie gewinnt man gesellschaftliche und politische Mehrheiten? Das klingt in den Ohren der Baumhausbesetzer in Lützerath womöglich zu wenig nach Widerstand. Doch Klima-Aktivismus im Jahr 2023, das ist die zentrale These, ist wesentlich konsistenter, wenn er sich für den Rechtsstaat starkmacht, statt auf die Regelverletzung zu setzen. Daher sind die unterschiedlichen Aktionsformen auch nicht wirklich kompatibel, sondern widersprechen sich.
Natürlich könnte man sagen, Klimaklagen, Gesetzespakete, Blockaden und Besetzungen ergänzen sich. Und einige müssen sich halt die Hände klebrig machen. Das Problem liegt allerdings in den Anforderungen eines wirklich konsequenten Klimaschutzes: Wer Blockaden und Besetzungen als legitimes Mittel der eigenen Strategie verfolgt, dem fehlen die Argumente, wenn andere Leute auf die Idee kommen sollten, aus einer selbst definierten »Notlage« heraus in der nahen Zukunft eine Windpark-Baustelle zu blockieren. Oder mit Traktoren die Autobahn zu blockieren, wie das Landwirte aktuell in den Niederlanden im Kampf gegen strengere Stickstoff-Grenzwerte tun. Die nennen das übrigens auch »ziviler Widerstand«.
Hier kommt eine unangenehme Wahrheit: Die gesellschaftliche Akzeptanz von politischen Entscheidungen und Baugenehmigungen ist für eine künftige radikale Energiewende zentral. Und da hilft kein Baumhaus.
Dieser Beitrag ist im März 2023 in taz FUTURZWEI N°24 erschienen.