Klaus Werner-Lobo über Kapitalismus: "Die Elite missbraucht das System"
Der taz-Kongress ist eröffnet: Teilnehmer, Clown und Kapitalismuskritiker Klaus Werner-Lobo sagt: Ökologisch und sozial shoppen reicht nicht mehr. Wir brauchen eine solidarische Ökonomie.
taz: Herr Werner-Lobo, für den Spiegel gehören Sie zu den zehn wichtigsten Menschen, die die Antiglobalisierungsbewegung mit repräsentieren. Schmeichelt Ihnen das?
Klaus Werner-Lobo: Das ist ja völlig übertrieben, wenn ich in eine Reihe mit Noam Chomsky, Naomi Klein und Michael Moore gestellt werde. Mein Buch war erfolgreich, ja. Aber vor allem bin ich nicht glücklich mit dem Begriff Globalisierungsgegner.
Kein gutes Label?
Erstens will ich mehr Globalisierung. Wir leben in einer globalisierten Welt, das ist eine Tatsache, da kann man dagegen sein oder dafür, das ist völlig belanglos. Ich will eine Globalisierung von Menschenrechten, von Sozialrechten, von Umweltschutz, überhaupt von Demokratie, von Rechtsstaatlichkeit.
Ist das nicht etwas, worin wir uns alle einig sind?
Nein. Die Profiteure der neoliberalen Globalisierung verhindern dies mit allen Mitteln. Die Globalisierung, die wir erleben, ist kein Naturereignis, sondern eine von Regierungen und Konzernen vorangetriebene Globalisierung des Kapitalismus.
Klaus Werner-Lobo auf dem taz-Kongress:
Große Gala der politischen Aktionen „Vom Schlauchboot zum Flashmob“, Samstag, 18. April, 20 Uhr.
Abschlussveranstaltung „Tu was!“, Sonntag, 19. April, 15 Uhr.
Der Werdegang: Klaus Werner-Lobo wurde 1967 in Salzburg geboren. Er studierte Umweltbiologie, Romanistik und Germanistik in Wien sowie Schauspiel in Rio de Janeiro. Er arbeitete als Pressesprecher des Österreichischen Ökologie-Instituts und als Journalist für Tages- und Wochenzeitungen wie taz, Welt am Sonntag, Falter, profil, trend, Der Standard, Die Presse. Der Autor und Clown lebt in Wien und Brasilien.
Die Bücher: Zuletzt veröffentlichte Klaus-Werner Lobo die Bücher „Uns gehört die Welt!“ und „Macht und Machenschaften der Multis“. Zuvor schrieb er u. a. „Prost Mahlzeit! – Essen und Trinken mit gutem Gewissen“ und das „Schwarzbuch Markenfirmen“. Mehr unter www.unsdiewelt.com
Viele Länder haben von der Globalisierung profitiert, die asiatischen Tigerstaaten beispielsweise, oder?
Das kann man nicht so sagen. Die soziale Ungleichheit ist in den meisten dieser Länder ebenfalls gestiegen. Die meisten dieser Länder sind, gemessen an ihren Ressourcen, extrem reich, aber die Profite haben die Eliten eingefahren.
Investoren wandern weiter, wenn sie in einem Land Restriktionen unterworfen werden.
Das ist genau das, was ja passiert. Konzerne drohen, in ein anderes Land zu gehen, bekommen sie keine guten Bedingungen. China wollte vor zwei Jahren die Sozialstandards erhöhen, die ohnehin kaum existierenden Gewerkschaftsrechte verbessern, worauf Konzernverbände gesagt haben, wenn ihr das tut, dann siedeln wir ab in die Nachbarländer.
Liegt das nicht eigentlich in der Verantwortung der Konsumenten in den westlichen Industrieländern?
Nein, denn das käme einer Privatisierung von Verantwortung und der Absage an politische Gestaltungsmacht gleich. Verantwortung steigt mit dem Einfluss, und der Einfluss der Konsumenten ist im Vergleich zu den ökonomischen und politischen Eliten extrem gering.
Wie trostlos!
Ich wills nicht kleinreden, und ich bin selbstverständlich auch dafür, dass man so ökologisch, so regional, so sozialverträglich, so fairtrade wie möglich einkauft, aber wenn wir das pragmatisch betrachten, hat das relativ wenig Potenzial. Eigentlich geht es um den Systemfehler.
Der wie beschaffen ist?
Dass das derzeitige Wirtschaftssystem fast nur den Reichen nutzt. Da nützt es wenig, wenn ich jetzt meinen Kaffee oder mein T-Shirt aus fairer Produktion kaufe. Ich glaube, das Potenzial ökologischen und fairen Handels liegt eher darin, dass man sagt, dass das überhaupt das oberste Wirtschaftsprinzip sein sollte.
Das heißt?
Man müsste den profitgesteurten Kapitalismus durch ein Fairtradeprinzip, durch solidarische Ökonomie ersetzen.
Das mag plausibel sein - aber das schafft doch keiner.
Das dachte man auch im Mittelalter, zu Zeiten von Feudalismus, Diktatur und Sklaverei. Es war immer eine gut informierte und gut organisierte Minderheit, die etwas zum Besseren verändert hat. Also wenn wir sagen würden, wir können eh nichts ändern, dann gäbe es heute keine Demokratie, keine Gewerkschaftsrechte, keine Frauenrechte, keinen Umweltschutz, keine Schwulenrechte.
Kampf nützt?
Natürlich, und es fängt immer mit wenigen an, übrigens auch jetzt erfolgreich. Was die Welthandelsorganisation WTO in den letzten Jahren an Wahnsinnigkeiten geplant hat, davon ist ja das meiste verhindert worden. Denken wir an das multilaterale Investitionsabkommen, das es Konzernen ermöglicht hätte, einzelne Länder anzuklagen, wenn die höhere Sozial- und Umwelweltstandards einführen - das wurde gekippt.
Durch wen?
Von größtenteils 18- bis 25-Jährigen, die in Organisationen wie Attac oder in Gewerkschaften aktiv sind und sich und andere informiert haben.
Wie macht man denn aus dieser Minderheit mal eine Mehrheit?
Optimistisch würde ich sagen, dass die Möglichkeiten gewachsen sind, auch durch das Internet. Das Wichtigste ist Bildung. Wobei man sehen muss, dass die kapitalistischen Eliten auch die Bildungssysteme für ihre Zwecke missbrauchen und privatisieren wollen. Gerade in der Krise bräuchten wir riesige Konjunkturprogramme für Bildung, wie Barack Obama sie vorschlägt, aber unsere Regierungen wollen da offenbar nicht recht investieren.
Warum fallen die Proteste gegen die Finanzkrise so schwächlich aus?
Ein Grund könnte sein, dass die Leute das Gefühl haben, keinen klaren Feind und kein klares Ziel zu haben, weil uns die Banken und die Rentenprivatisierung de facto fast alle zu kleinen Finanzspekulanten gemacht haben.
Oder geht es vielen Menschen noch zu gut, als dass sie protestierten?
Ich bin mir da nicht sicher. Es gibt das Potenzial einer grundsätzlichen Systemkritik in der Bevölkerung, aber ich glaube, die Leute haben das Gefühl, dass sie ja irgendwie selbst schuld sind an der ganzen Misere. In den letzten 30 Jahren ist es der herrschenden Elite gelungen, den Leuten das Gefühl zu geben, dass alle eigentlich im gleichen Boot säßen. Ignoriert wird nur, dass wenige an dieser Finanzkrise wahnsinnig verdient haben.
Können wir heute überhaupt noch mit gutem Gewissen konsumieren?
Es geht nicht darum, ob wir ein gutes Gewissen haben - es geht darum, dass wir rational denken. Wir müssen uns gemeinsam an einer Neugestaltung von Demokratie und Gesellschaft beteiligen, und das lösen wir nicht, indem wir Gewissensforschung betreiben.
Wie denn?
Indem wir überlegen, was im System falsch ist, wenn wir als Gesellschaft die Fluglinien hoch subventionieren und die Umwelt- und die sozialen Kosten externalisieren. Und dann muss ich die politisch Verantwortlichen dafür zur Verantwortung ziehen. Und nicht den kleinen Mann, die kleine Frau, jene, die womöglich Hartz-IV-Empfänger sind und sich endlich mal leisten können, für 29 Euro nach Mallorca zu fliegen.
Gelegentlich schlüpfen Sie in ein Clownskostüm. Warum machen Sie das?
Humor hat sehr viel subversives Potenzial, er ist das beste Mittel gegen die Angst vor den Mächtigen. Schon im Mittelalter war der Narr der Einzige, der den König kritisieren durfte.
Wie verstehen Sie denn als Clown Wahrheit in der Gegenwart?
Der Clown ist das Sinnbild der Imperfektion, des Scheiterns, und das ist zutiefst menschlich. Diese Menschlichkeit gilt es der Scheinperfektion der großen Ideologien, der Marken und Shoppingcenter entgegenzustellen. Der Clown ist die Anti-Gewalt.
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