: Klassenpolitik legitimiert
■ betr.: „Mutter Teresa und Bill Ga tes in einer Person“, Interview mit Ulrich Beck, taz vom 2.1. 98
Erstaunlich ist, mit welchem untrüglichen Instinkt für opportune Meinungen Wissenschaftler mit Theorien und Ratschlägen den Herrschenden zur Hand gehen. Im wissenschaftlichen Gewande wird Klassenpolitik legitimiert. Ein Beispiel für solch einen Versuch ist die Idee der Bürgerarbeit. Die Konsequenzen dieses Modells, falls es verwirklicht wird, sind allerdings so recht nach dem Geschmack derer, die Ulrich Beck beauftragt haben: Arbeit soll durch Bürgerarbeit ersetzt werden, weil diese billiger ist. Deutlich spricht er es aus: „Sie (die Bürgerarbeit) soll nicht entlohnt, aber belohnt werden – mit einem Bürgergeld, das als minimale Existenzsicherung letztlich allen zur Verfügung steht, die darauf angewiesen sind.“
Arbeitslose sollen in den Produktionsprozeß eingegliedert werden, allerdings zu deutlich schlechteren Bedingungen. Aus dem Produktionsprozeß herausgedrängt werden dann die in diesen Bereichen Beschäftigten, die jetzt noch einen Arbeitsplatz innehaben, der diesen Namen auch verdient – einen Arbeitsplatz, der einer Familie die Existenz ermöglicht, einen Arbeitsplatz, der über lange Zeit einigermaßen verläßlich und sicher ist.
Die Menschen, deren Existenz durch Modelle der Bürgerarbeit ins Visier genommen werden, sollen sich keinen Illusionen hingeben: Die wirtschaftlichen Eliten blasen zum Angriff gegen in Jahrzehnten errungene soziale Standards. Und wie in jedem echten Krieg, braucht man immer auch Hilfstruppen, die für die Moral zuständig sind. Zum Zwecke der psychologischen Kriegsführung werden dann Wissenschaftler eingesetzt, die im Namen der Wissenschaft mit Worten und geschliffenen Sätzen das häßliche Geschäft ihrer AuftraggeberInnen schönreden. Das ist die Funktion vieler WissenschaftlerInnen. Sie könnten auch eine andere Funktion ausüben. Sie könnten, wenn sie wollten, die Wahrheit sagen. Sie könnten das häßliche Geschäft, um das es hier geht, deutlich beschreiben: In kapitalistisch organisierten Gesellschaften geht es darum, Arbeitskosten zu senken, um Profite zu erhöhen. In solchen Gesellschaften sind die meisten Menschen, wir zitieren, „frei flottierendes Potential“. Auf einmal bekommt die Sprache des eben noch schönredenden Wissenschaftlers unversehens einen gemeinen und brutalen Zug – dann, wenn er die Wahrheit sagt. „Frei flottierendes Potential“ – in der Tat, genau das ist das Schicksal eines beständig größer werdenden Teils der Menschen. Die Bürgerarbeit wird diesen Teil weiter anwachsen lassen. Wolfgang Maul, Nürnberg
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