: Kiszczak auf seinen Schleudersitz gehievt
■ Das polnische Parlament wählt General Kiszczak zum polnischen Ministerpräsidenten / Geschlossene Ablehnung der Opposition Kiszczak weiter für große Koalition / Untersuchungsausschuß beschäftigt sich mit der Wirtschaftspolitik von Ex-Premier Rakowski
Warschau (afp/ap) - Der bisherige polnische Innenminister Czeslaw Kiszczak ist neuer polnischer Ministerpräsident. Obwohl eine Mehrheit für Kiszczak bis unmittelbar vor der entscheidenden Sejm-Abstimmung gestern morgen noch unsicher schien, erreichte der General ein für neu-polnische Verhältnisse passables Ergebnis: 237 Abgeordnete stimmten für Kiszczak, 173 votierten gegen ihn, zehn enthielten sich der Stimme. Noch am Dienstag hatte es zeitweilig nach einer Wende ausgesehen, nachdem zahlreiche Abgeordnete der Bauernpartei einschließlich ihres Fraktionsvorsitzenden eine Koalition mit dem Bürgerclub favorisiert hatten. Vertreter der Opposition äußerten nach der Wahl die Vermutung, einige Abgeordnete der Bauernpartei hätten unter Druck von Seiten der PVAP für Kiszczak gestimmt. Die Abgeordneten der Opposition jedenfalls beugten sich der Empfehlung Lech Walesas und ihres Fraktionsvorsitzenden Bronislaw Geremek, gegen Kiszczak zu stimmen, was dieser in seiner anschließenden Wahlansprache bedauerte. Er hätte es schöner gefunden, wenn sich die Opposition dem Vorschlag des Präsidenten zu einer „breiten Regierungskoalition“ hätte durchringen können. Er werde aber weiter versuchen, eine solche Regierung zu bilden und habe die Hoffnung nicht aufgegeben, daß die Opposition von ihrer bisherigen Haltung abrücken werde, fügte Kiszczak hinzu. Geremek hatte kurz vor der Abstimmung erklärt, die oppositionellen Abgeordneten würden nicht deswegen gegen Kiszczak stimmen, weil viele von ihnen seine „Klienten“ gewesen seien, womit er auf die Internierung tausender Solidarnosc-Mitglieder nach der Verhängung des Kriegsrechts im Dezember 1981 anspielte. „Wir wissen, daß man mit ihm verhandeln kann“, fuhr Geremek fort, „aber wir wollen eine grundlegende politische Veränderung und das Ende des Monopols einer einzigen Partei.“ Erneut bekräftigte Geremek die schon von Walesa vorgetragene Bereitschaft der Opposition, eine nationale Wohlfahrtsregierung unter Ausschluß der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP) zu bilden. Kiszczak hatte den Abgeordneten vor dem Wahlgang versichert, er werde alles tun, um die Demokratisierung des öffentlichen Lebens in Polen weiter voranzutreiben. Unter anderem sprach er sich für die gesetzliche Verankerung des Mehrparteiensystems sowie der Vereinigungs- und Meinungsfreiheit aus.
Auf wirtschaftlichem Gebiet befürwortete Kiszczak in seiner Rede vor dem Sejm eine Austeritätspolitik, die etliche Streichungen im Staatshaushalt, unter anderem im Bereich Verteidigung und Polizei mit sich bringen werde. Er kündigte ferner die Bildung einer parlamentarischen Kommission zur Kontrolle der Regierung an.
Was auch dem künftigen polnischen Regierungschef blüht, wenn seine Politik im Parlament nicht auf Zustimmung stößt, machten die Abgeordneten noch vor der Wahl Kiszczaks deutlich: Sie beschlossen - gegen die Stimmen der Kommunisten einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß, der sich mit der Politik seines Vorgängers Rakowski beschäftigen wird. Wenn dem Ausschuß die Vorwürfe der Opposition, Rakowski habe die wirtschaftliche Talfahrt mit seiner Politik weiter beschleunigt, plausibel erscheinen, wird sich der Ex-Premier bald vor dem Staatstribunal verantworten müssen: wegen schlechter Amtsführung.
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