Kinderleichter Betrug: Der König vom Kika
Da niemand im Sender seine Rechnungen kontrollierte, konnte der ehemalige Herstellungsleiter jahrelang Millionen unterschlagen. Das Geld hat er verspielt.
ERFURT taz | Der Betrugsskandal beim Erfurter Kinderkanal ist so berühmt, dass er es jetzt auch ins offizielle Programm der Stadtführung geschafft hat. "Thüringen ist das Kindermedienland", sagt die Dame mit dem Schildchen der Tourist-Information an der Bluse, und der Kika sei ja derzeit dauernd in den Medien, wenn auch eben mit diesem nicht ganz so schönen Unterton.
Rund 8,2 Millionen Euro sind weg, und das auch noch beim Sender für die lieben Kleinen. Der Prozess laufe übrigens am hiesigen Landgericht, "da kommen wir nachher auch vorbei, wenn wir zum Dom gehen". Und ansonsten sei das hier bitte die wohl berühmteste Kika-Figur, direkt am Rathaus, Bernd das Brot.
Die aktuell zweitberühmteste Kika-Personalie ist Marco K. (43), der ehemalige Herstellungsleiter. Er sitzt im grün-blau gestreiften Hemd zwischen seinen Verteidigern und guckt niedergeschlagen. Wenn er morgens um neun von zwei Beamten in den Schwurgerichtssaal geführt wird, sieht das ein bisschen unbeholfen aus, weil er Handschellen und Fußfesseln trägt, die ihm mit großer Geste abgenommen werden. Fotografen freut so was.
Umfassendes Geständnis
Das Kindermedienland Thüringen kann ganz schön martialisch sein, dabei hat Marco. K. schon gleich zum Prozessauftakt ein umfassendes Geständnis abgelegt. Darüber, wie er das gemeinsame Kinderfernsehen von ARD und ZDF über Jahre um Millionen brachte. Und was er mit dem Geld gemacht hat.
Marco K. trug das Geld ins Kasino, in Erfurt und Berlin, im Urlaub auch mal nach Las Vegas. Er sei spielsüchtig, schon seit vielen Jahren, sagt K. Bis zu 10.000 Euro soll er pro Woche nach Aussagen von Mitarbeitern des Casino Erfurt - Slogan: "Hier spielt das Leben" - verzockt haben. Mit einem ARD-Abteilungsleitergehalt, bei dem nach Marco K.s eigenen Angaben vor Gericht netto 4.800 Euro übrig bleiben, vertragen sich solche Summen schlecht.
Der öffentlich-rechtliche Kinderkanal ist eine "Gemeinschaftseinrichtung" von ARD und ZDF und wurde 1996 als Antwort auf diverse private Kanäle mit junger Zielgruppe wie Super RTL und Nickelodeon gegründet.
Anders als die öffentlich-rechtlichen Anstalten hat der Kika keinen Intendanten, sondern nur einen Programmgeschäftsführer - der in der ARD/ZDF-Hierarchie einem Hauptabteilungsleiter entspricht. Auch sein Programm kann der Kika nur begrenzt selbst planen und produzieren - der Jahresetat für die Zentrale in Erfurt beträgt rund 35 Millionen Euro, ZDF und ARD liefern Programme im Wert von
ca. 45 Millionen zu.
Die offizielle Aufsicht über den Kika führt der MDR, dessen Intendant Udo Reiter nun vorzeitig abtritt. Offiziell aber nicht wegen des Kika-Betrugsskandals, sondern aus Gesundheitsgründen. (stg)
Fingierte Rechnungen um die Firma zu retten
Am Nachmittag muss Fabian B. in den Zeugenstand. Er war Geschäftsführer der Berliner Produktionsfirma Kopp Film, über die der Betrug lief: Kopp Film stellte Scheinrechnungen über bestimmte technische Dienstleistungen, zum Beispiel die Produktion von Programmtrailern. Der Kika bezahlte - ohne dass die Firma irgendetwas geliefert hätte.
Das Geld wurde dann zwischen dem Kopp-Film-Geschäftsführer und dem Kika-Mann Marco K. geteilt. Allein seit 2005 geht es um 4,6 Millionen Euro, um die der Sender betrogen wurde. Der Rest der Fälle ist bereits verjährt.
Fabian B. sagt, er brauchte das Geld, weil es der Kopp Film schlecht ging "und ich die Firma retten wollte, mit allen Mitteln". Die Idee sei aber vom Kika-Herstellungsleiter ausgegangen, "ich wäre gar nicht in der Position gewesen, einen solchen Vorschlag zu machen".
Per Anruf oder SMS habe sich Marco K. gemeldet und dann ein Fax mit exakten Daten geschickt: angebliche Auftrags- und Kostenstellennummer, angebliche Dienstleistung und natürlich die Summe. Daraus habe er dann eine offizielle Kopp-Film-Rechnung für den Kika gemacht, sagt Fabian B. Die Beträge schwankten zwischen 25.000 und 150.000 Euro.
Marco K. habe sich dann noch mal gemeldet und gesagt, wie er seinen Anteil haben möchte, "und die Quote festgelegt", sagt Fabian B. In der Regel wurde im Verhältnis 60:40 zugunsten des Kika-Manns geteilt, "immer auf volle Tausender gerundet".
Kinderleichter Betrug
Glaubt man dem mittlerweile fristlos gefeuerten Kika-Herstellungsleiter und dem Mann von der Produktionsfirma, war der Betrug kinderleicht. Weil keiner genau hinschaute. Weil niemand prüfte, ob die abgerechneten Leistungen auch wirklich erbracht wurden. Und weil das Rechnungswesen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk einfach auszutricksen ist.
Was besonders leicht geht, wenn man der König vom Kika ist. Als solcher habe sich der Herstellungsleiter Marco K. selbst gesehen, schließlich habe er den Sender seit 1996 aufgebaut und sei stolz darauf gewesen, jede Ecke zu kennen, sagt ein Mann, der erst 2009 zum Kika kam und jetzt Marco K.s Job hat, wenn auch nur kommissarisch.
Zwar war der Herstellungsleiter eigentlich nur die Nummer 2 im Kika. Über ihm stand der Programmgeschäftsführer, der auf dem Papier mächtigste Mensch im Sender. Doch ohne Marco K., so lässt sich das vereinfacht sagen, hätte es im Kika keine einzige Sendung gegeben.
Der Herstellungsleiter hatte inhaltlich und redaktionell zwar nur wenig mitzureden, aber technisch lief ohne ihn - nichts. Er setze die Ideen der Redaktionen um, jeder Auftrag an Produktionsfirmen und andere Dienstleister lief über seine Abteilung. Und wenn sein Chef, der Programmgeschäftsführer, einmal nicht da war, war Mario K. automatisch sein Vertreter.
"Nicht meine Aufgabe"
Hat er denn bei den Rechnungen genauer hingeguckt, bevor er sie zur Zahlung anwies, will Marco K.s Verteidigerin Diehrbach vom amtierenden Nachfolger wissen, der unter K. eine Hierarchen-Etage tiefer Produktionsleiter war. "Nein", sagt der spröde, das sei auch "nicht meine Aufgabe gewesen". Denn die fraglichen Rechnungen kamen geprüft aus der Herstellungsleitung, und damit hatte alles seine Ordnung.
Das ist Wasser auf Diehrbachs Mühlen: "Sie wissen nicht, von wem die Rechnung geprüft wurde?" - "Genau." - "Sie unterschreiben das einfach, ohne wenigstens per Stichprobe mal zu prüfen, ob die abgerechnete Leistung überhaupt erbracht wurde?" - "Das gehörte nicht zu meinen Aufgaben", sagt der 34-Jährige. Und qualifiziert sich mit dieser Aussage für einen Führungsposten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Denn vor und nach ihm haben viel mächtigere Senderhierarchen das genauso gesagt.
Marco K.s letzter Chef zum Beispiel, der heutige Kika-Programmgeschäftsführer Steffen Kottkamp. "Ich habe nichts von Scheinrechnungen gewusst", sagt Kottkamp, der seit 2008 im Amt ist. Und außerdem seien ihm als Programmgeschäftsführer die Rechnungen "grundsätzlich nicht vorgelegt worden, weil das nach dem damaligen Verständnis auch nicht notwenig war". Er könne sich nur im Nachhinein erklären, "wie es gewesen sein muss".
Möglich sei das heute nicht mehr, sagt Kottkamp, dem der Skandal eine Abmahnung eingebracht hat. Denn gleich nach der Verhaftung des Herstellungsleiters im Dezember 2010 seien die Abläufe geändert worden.
"Zuverlässiger Mitarbeiter"
Kottkamp ist nervös und von Beruf "Journalist", wie er am Anfang zu Protokoll gibt. Weder die "Spielleidenschaft noch eine Spielsucht" des Angeklagten sei ihm bekannt gewesen, "es war eine große Überraschung, zu erfahren, dass er spielsüchtig sein soll", sagt Kottkamp.
Wie denn über Jahre so viel Geld - durchschnittlich knapp 1 Million Euro im Jahr - unterschlagen werden konnte, ohne dass dies beim eher kleinen Kika-Etat von 35 Millionen irgendwem auffiel, will der Richter wissen: Das sei die "absolute Überraschung gewesen", sagt der Kika-Chef, "ich kann gern einräumen, dass das im Nachhinein etwas seltsam klingen mag".
Der Herstellungsleiter sei ein "zuverlässiger Mitarbeiter" gewesen, "der die ihm gestellten Aufgaben sehr präzise erfüllt" habe, sagt Kottkamp. Es klingt wie ein Arbeitszeugnis. Marco K. guckt ihn unverwandt an, sein Gesicht ist leicht gerötet, sonst gibt es keine Reaktion.
Auch Frank Beckmann tappte stets im Dunkeln. Er war von 2002 bis 2008 beim Kika und damit Marco K.s Chef. Aber er sei ohnehin mehr "im diplomatischen Dienst" des Senders unterwegs gewesen, sagt Beckmann. Also viel auf Achse, bestimmt "60 Arbeitstage im Jahr nicht in Erfurt", sondern "die Kinderfernsehszene beobachten, mit Produzenten und der Presse reden, im Ausland nach Trends suchen".
Gefühl der ständigen Beobachtung
Beckmann gibt sich im Gerichtssaal selbstsicher, kann seine Nervosität aber kaum überspielen. Auch er sagt auf Nachfragen des Richters zum Thema Rechnungen: "Zusätzliche Prüfungen gehörten nicht zu meinem Aufgabenbereich." Als Programmgeschäftsführer sei er, "wenn Sie so wollen, für das Große zuständig" gewesen, sagt er dem Richter, für die Rechnungsprüfung habe die Verantwortung bei der Herstellungsleitung gelegen.
Aber weil der Kika ja eine Gemeinschaftseinrichtung von ARD und ZDF sei, habe er sich ohnehin "dauernd unter Beobachtung" gefühlt: "Wenn ich eine Sorge nicht hatte, dann die, dass wir nicht genügend kontrolliert und geprüft wurden", sagt Beckmann heute - trotz der abgezweigten Millionen.
Kasino-Gerüchte
Für Beckmann geht es um einiges, denn er war im Sender auch auf Marco K.s häufige Kasinobesuche hingewiesen worden. Heute ist Beckmann Programmdirektor beim Norddeutschen Rundfunk (NDR) in Hamburg, seine Lebensgefährtin sitzt als Zuschauerin im Saal, dazu noch eine Reporterin vom NDR-Medienmagazin "Zapp".
Das Kasino-Gerücht sei "von unterschiedlichen Mitarbeitern immer mal wieder" an ihn "herangetragen worden", aber da sei "nichts Griffiges" gewesen, sagt Beckmann. Denn es sei ja nicht verboten, ins Kasino zu gehen - und er selbst habe mit Marco K. höchstens mal Skat gespielt. Trotzdem habe er ihn nach einem etwas konkreteren Hinweis 2007 mal angesprochen, sagt Beckmann.
Doch K. habe jegliche Probleme verneint und gemeint, da wolle ihm jemand am Zeug flicken, sagt Beckmann. Dass Marco K. spielsüchtig ist, sei für den heutigen NDR-Mann eine "völlig absurde Vorstellung, ich fass das bis heute nicht".
Marco K. selbst, der sich in seinem Geständnis als "seit Langem spielsüchtig" bezeichnet hatte, aber ausgesagt hat, im Kika nie auf seine Kasinobesuche angesprochen worden zu sein, guckt seinen Exchef unverwandt an. Fast sieht er so aus, als wäre er gar nicht da.
Doch Zweifel bleiben: Er habe sich anfangs schon "gewundert, dass die Scheinrechnungen nicht aufgeflogen sind", sagt Fabian B. von Kopp-Film. Es hätte doch zum Beispiel jemandem auffallen können, dass seine Firma nie "im Abspann von TV-Produktionen auftauchte, an denen wir laut Rechnung eigentlich mitgearbeitet hatten". Aber auch da, so Fabian B. habe wohl "keiner so genau hingeguckt".
Der Prozess wird fortgesetzt.
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