Kinderbericht des OECD: Reiches Land, armer Nachwuchs
Obwohl Deutschland für den Nachwuchs so viel Geld ausgibt wie nur wenige OECD-Länder, gehört es bei der Chancengleichheit zu den Schlusslichtern.
Familienverbände fordern seit Jahren mantraartig mehr Staatsausgaben für Kindern in Deutschland. Da überrascht es doch sehr, dass die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in ihrem ersten Kinderbericht feststellt: Deutschland investiert in den Nachwuchs 10 bis 20 Prozent mehr als andere Industriestaaten. Das Geld geht in Bildung, Dienstleistungen und direkte Finanztransfers.
Ein Grund zur Freude? Nein, wie Monika Queisser, Leiterin der Abteilung Sozialpolitik der OECD, am Dienstag bei der Vorstellung der Studie in Berlin mahnte. Trotz der hohen Summen für Kinder lebt fast jedes sechste Kind in Deutschland in relativer Armut. Der OECD-Durchschnitt liegt bei jedem achten Kind.
Wohin ist also das ganze Geld verpufft? Deutschland gibt pro Kind bis zu seinem 18. Geburtstag durchschnittlich rund 101.000 Euro aus. Weil die OECD es nicht schaffte, aktuelle Statistiken aus allen Ländern zusammenzusammeln, stammt die Zahl aus dem Jahr 2003.
Ein beachtlicher Teil der öffentlichen Mittel geht direkt an die Eltern: 40 Prozent. Unter den OECD-Ländern liegt der Anteil nur in Luxemburg und der Slowakei so hoch.
Offensichtlich ist es doch keine so gute Idee, Geld direkt an die Erziehungsberechtigten zu zahlen. Das ist natürlich eine umstrittene Aussage, werden doch Klischees von Eltern, die lieber Zigaretten statt Obst für ihre Familien kaufen, gern und oft eingesetzt. Der Deutsche Kinderschutzbund kämpft schon lange gegen dieses Vorurteil an. Auch ein Berliner Hartz-IV-Berater berichtete kürzlich aus seiner Erfahrung: "Wenn die Hartz-IV-Regelsätze für Kinder erhöht werden - es gibt ja immer Ausnahmen -, füllen die meisten Eltern erst mal den Kühlschrank.
Der Blick muss in Richtung indirekte Transfers gehen. Dänemark - einmal mehr sind die Skandinavier Vorbild - gibt nämlich nur 20 Prozent der Summen für Kinder in Form von Direktzahlungen aus. Der Rest geht überwiegend in Bildung und Betreuungsangebote. In Dänemark ist, so die Folge, nur jedes 37. Kind von relativer Armut betroffen. "Mehr Investitionen in frühkindliche Bildung könnten zu einer Reduzierung von Ungleichheit beitragen", sagte Queissner von der OECD.
Vor allem Alleinerziehende, die samt ihren Kindern in Deutschland überdurchschnittlich oft von Armut betroffen sind, könnten davon profitieren. Alarmierend und fast schon peinlich ist, dass in Deutschland die Armutsrate unter Alleinerziehenden weit höher ist als in anderen OECD-Ländern. Im Schnitt sind in Deutschland 40 Prozent der Mütter oder Väter, die allein mit ihren Kindern leben, arm - im OECD-Schnitt sind es 30 Prozent. "Deutschland sollte seine Transfers stärker auf bedürftige Kinder und deren Familien konzentrieren", erklärte Queisser. Das mag stimmen.
Doch viel mehr würde es Kindern mit nur einem Elternteil helfen, wenn Vater oder Mutter einen Job ausüben könnten - einer der Schlüssel für den Weg aus der Armut. Und einen Job kriegt man nur, wenn das Kind einen Platz in einer Kita oder Gesamtschule bekommt. Hier sind wir wieder beim mangelnden Betreuungsangebot.
Und genau hier ist es oft schwer, Länder zu vergleichen. Denn in Ländern, wie zum Beispiel Ungarn bis Mexiko über Polen, Korea oder Japan, genaue Statistiken über Kinder zu sammeln ist schwierig, wie das Datensammeln für den ersten Kinderbericht der OECD zeigte, so Queisser. Ein weiterer trauriger Punkt, der aber nicht nur Deutschland betrifft: "In Statistiken sind Kinder praktisch unsichtbar."
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