Kinderarmut in Hartz-IV-Haushalten: Jedes dritte Kind ist arm
In Berlin leben rund 175.000 Kinder in Familien, die Hartz IV beziehen. Kinder Alleinerziehender und Langzeitarbeitsloser sind besonders betroffen.
In Berlin wächst jedes dritte Kind in Familien auf, die Hartz IV-Leistungen beziehen. Das geht aus einer parlamentarischen Anfrage der Linken an den Senat hervor, die die Staatssekretärin für Integration und Soziales, Petra Leuschner, im Juni beantwortet hatte. Demnach lebten im vergangenen Jahr insgesamt 175.574 Kinder und Jugendliche bis 17 Jahre in Hartz IV-Familien. Die jüngste Gruppe, Kinder im Alter von 0 bis 7 Jahren, stellte dabei den größten Anteil - rund 50 Prozent. Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren machten nur 20 Prozent aus. In den Bezirken Mitte und Neukölln waren mit rund 26.000 die meisten Kinder mit Hartz IV zu verzeichnen. In Friedrichshain-Kreuzberg lebten etwa 19.000 Kinder und Jugendliche vom Arbeitslosengeld II.
"Kinder sind leider nach wie vor ein potenzielles Armutsrisiko", sagt Karin Rietz, Sprecherin der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales. "Vor allem bei einkommensschwachen Familien mit mehreren Kindern ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass das Geld irgendwann nicht mehr reicht."
Auffallend war auch der große Anteil an Kindern, die aus alleinerziehenden Haushalten mit Arbeitslosengeld II-Bezügen kamen - 2007 waren es rund 75.000. "Alleinerziehende müssen einen Beruf ausüben können, der mit der Betreuung ihres Kindes vereinbar ist", erklärt Rietz. Häufig ließe sich dies aber nicht realisieren. "Außerdem fehlt den alleinerziehenden Müttern oder Vätern oft das zweite Gehalt." Gerade bei mehreren Kindern seien viele auf Hartz IV angewiesen, so Rietz.
Seit der Einführung der Hartz IV-Regelung Anfang 2005 ist die Kinderarmut offenbar stark angestiegen. Aus einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit geht hervor, dass noch Ende 2005 etwa 168.000 Kinder in Bedarfsgemeinschaften gelebt haben. Das sind ungefähr 7000 weniger als 2007.
Die Unterstützung in Form der alten Sozialhilfe gibt es fast nicht mehr. Nur noch 1.150 Minderjährige und ihre Familien lebten im letzten Jahr von finanziellen Leistungen gemäß des Sozialgesetzbuchs XII, in dem die Hilfe für nicht arbeitsfähige Menschen festgeschrieben ist.
Etwa 37.000 Kinder mit nichtdeutscher Nationalität bezogen laut Berechnungen der Bundesagentur für Arbeit Hartz IV-Leistungen. Das sei, so Staatssekretärin Leuschner, ein Anteil von ungefähr 20 Prozent. Die Zahlen seien jedoch infolge von "unterschiedlichen Zuordnungen bei doppelter Staatsangehörigkeit" ungenau.
Wie groß die Kinderarmut in anderen deutschen Städten ist, kann die Senatsreferentin Karin Rietz nicht sagen. Dass in Berlin immer mehr Kinder in Armut aufwüchsen, liege aber vor allem daran, dass die Arbeitslosigkeit in der Stadt besonders hoch sei. "Wir haben ziemlich viele Langzeitarbeitslose", sagt Rietz. "Das wirkt sich natürlich auf die Familien aus." Das Leben von Kindern mit erwerbslosen Eltern beschreibt die Referentin wie einen Teufelskreis: "Eltern sind immer ein Vorbild ihrer Kinder. Wenn ein Kind damit aufwächst, dass seine Eltern nur zu Hause hocken, liefert dies dem Kind nicht wirklich eine Perspektive."
Der Senat setze sich derzeit auf Bundesebene dafür ein, dass die Regelleistungen für Kinder neu bemessen würden, schrieb Leuschner in ihrer Antwort auf die Linken-Anfrage. Die Staatssekretärin verwies dabei auf eine Arbeits- und Sozialministerkonferenz im November 2007. Dort seien die neuen Regelleistungen auf Initiative des Landes einstimmig beschlossen worden.
Der Bundesrat habe nun die Bundesregierung aufgefordert, die Regelsätze für Kinder sofort neu festzusetzen. Dabei müsse der besondere Bedarf der Kinder im Hinblick auf Mittagessen in Ganztagsschulen und in Kindertagesstätten sowie bei der Beschaffung von Schulbüchern berücksichtigt werden. Der Bundesrat erwartet laut Staatssekretärin Leuschner, dass die Bundesregierung bis Ende 2008 eine Regelung für den Umgang mit der existierenden Kinderarmut vorlegt. NORA GROSSE-HARMANN
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