Kinder- und Jugendarbeit: Hilfe nach Kassenlage
Der Bedarf steigt, aber das Geld ist knapp: Der Kreis Pinneberg will festlegen, wie viele Betroffene Unterstützung erhalten. Rechtlich ist der Vorstoß fragwürdig.
Kinder, die in der Schule um sich schlagen, Jugendliche, die sich die Arme blutig ritzen, überforderte Eltern: "Familien aus allen Schichten sind betroffen", berichtet Bettina Waffek, Familientherapeutin im Kreis Pinneberg. Tatsächlich sei die Lage "sehr besorgniserregend", das findet auch die Kreisverwaltung - meint aber in erster Linie die Kosten, die durch Jugend- und Familienhilfe entstehen.
Nun soll gespart werden: Dafür legt der Kreis fest, wie vielen Kinder eine bestimmte Hilfe gewährt werden darf. Beratungsstellen schlagen Alarm. Die Plätze so zu begrenzen, sagt Jens Petri von der "Miko Kinder- und Jugendhilfe", sei ein Rechtsbruch. Zumindest "rechtlich nicht ganz sauber" sei der Plan, sagt auch Thorsten Fischer (SPD), Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses im Kreistag.
Jugendhilfe kann nicht nach Belieben gewährt werden, sondern es besteht ein gesetzlicher Anspruch, den Eltern einklagen können - wenn sie denn wollen. Sind das Leben oder die Gesundheit des Kindes gefährdet, muss der Staat sogar von sich aus aktiv werden. Doch soweit sollte es besser nicht kommen, sagt Fischer: "Wir wollen frühzeitig Hilfen anbieten."
Die Verwaltung hält dagegen: Bei Fällen akuter Kindeswohlgefährdung werde selbstverständlich eingegriffen, heißt es in einem Schreiben des Jugendamtes. Insgesamt aber müssten die Kosten begrenzt werden, nachdem sie in einigen Bereichen um fast 700 Prozent gestiegen seien. Petri hält dagegen: Im Gegenzug seien andere Angebote weggefallen, der Anstieg sei also insgesamt deutlich niedriger.
Unstrittig ist, dass nicht nur in Pinneberg, sondern bundesweit jedes Jahr mehr Familien Hilfe erhalten. Ein Bündel an Gründen trägt dazu bei: Armut und psychische Krankheiten, auch gibt es immer mehr Alleinerziehende, die mit der Situation überfordert sind. Nicht zuletzt wird mehr auf Anzeichen von Vernachlässigung geachtet: "Die Leute sind sensibler geworden", sagt Fischer. Gesetze zwingen Kitas und Schulen zu einer "Kultur des Hinsehens".
Der Kreis beharrt: Damit die Kosten nicht weiter steigen, seien längere Wartelisten hinzunehmen.
Der Jugendpsychiater Peter Carlsen aus Pinneberg vermutet eine andere Folge: "Die Hürden, um eine Hilfe zu erhalten, werden so hochgestellt, dass es Familien und Helfer davon abhält, sich zu melden." Er fürchtet, dass es mittelfristig sogar teurer wird, wenn ambulante Hilfen gekürzt werden: "Dann müssen mehr Kinder stationär untergebracht werden."
In der kommenden Woche berät der Jugendhilfeausschuss des Kreises über den Vorschlag der Verwaltung, der in diesem Jahr 1,5 und im nächsten 2,8 Millionen Euro gegenüber dem Haushaltsansatz sparen soll. Gut möglich, dass der Ausschuss das Konzept kippt, sagt der Vorsitzende Fischer: "Schließlich sind Vertreter von Vereinen und Gruppen stimmberechtigte Mitglieder." Das letzte Wort hat aber der Kreistag, in dem CDU und FDP die Mehrheit stellen.
In der Zwischenzeit werde die neue Sparpolitik aber bereits umgesetzt, sagt Psychiater Carlsen: "Vermutlich muss erst etwas passieren, damit die Politik begreift, dass man so mit Menschen nicht umgehen kann."
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