■ Kennt der Senat die Türkei?: Ordnung muß sein
Die Regierenden in Berlin haben, so scheint es, besonders pfiffig den Abschiebestopp für Kurden aufgehoben. Sie wollen vor Abschiebungen mit türkischen Menschenrechtsorganisationen Kontakt aufnehmen und gar Anwälte bezahlen, die sich um das „Wohlergehen“ von Abgeschobenen in der Türkei kümmern sollen. Die Berliner meinen: Abschieben ist okay – aber bitte anständig.
Die Realitäten in der Türkei sind den Berlinern egal. Welche türkischen Menschenrechtler sollen sich eigentlich um die Abgeschobenen kümmern? Ekber Kaya vom Menschenrechtsverein in Tunceli, der seit einer Woche in Polizeihaft sitzt? Ekber Kaya, für den amnesty international eine urgent action startete, damit er nicht in Polizeihaft gefoltert wird? Oder die zehn Menschenrechtsaktivisten im kurdischen Diyarbakir, die im Knast sitzen? Freilich gibt es auch Aktivisten des türkischen „Menschenrechtsvereins“, die nicht im Gefängnis sind. Doch sie alle stehen unter der Fuchtel der politischen Justiz, die sie mit einer Prozeßlawine überrollt. Die Regelung des Berliner Senats ist ein Konstrukt realitätsblinder Bürokraten, die wahrscheinlich noch nie türkischen Boden betreten haben.
Es gibt in der Türkei Gesetze. Und die türkischen Gerichte versuchen – mehr oder minder –, ihnen Geltung zu verschaffen. Allein mit der Existenz dieser Gesetze rechtfertigen deutsche Politiker die Aufhebung des Abschiebestopps. Doch die Gesetze sind nicht Wirklichkeit, sondern nur Schein. Todesschwadronen sind am Werk, die jährlich Hunderte Menschen auf dem Gewissen haben, Todesschützen der Polizei, Sondereinheiten, die ganze kurdische Dörfer in Brand stecken. Da haben Gerichte nichts zu melden. Doch der Berliner Senat – Gott sei ihm wohlgesonnen – bestellt ordentlich einen Rechtsanwalt. Ömer Erzeren, Istanbul
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