: Keine Macht für niemand
Absurd, sehr schwierig, indiskutabel: Hamburgs schwarze, rote, grüne und gelbe Spitzenpolitiker ergehen sich nach der Wahl in Farbspielereien. SPD-Chef Petersen ist um Diagnose verlegen, FDP-Spitzenkandidat Müller-Sönksen trägt Jamaika-Krawatte
Von Sven-Michael Veit
Burkhardt Müller-Sönksen trägt eine Jamaika-Krawatte, schwarz-gelb-grün, „dem Anlass gemäß“, wie er sagt. Frisch gekauft hat der neue Bundestagsabgeordnete der Hamburger FDP sie aber nicht: „Die habe ich schon lange“, nun aber soll sie zu neuen Ehren kommen. Eine Bundesregierung aus CDU, FDP und Grünen sei die einzige Lösung dieser „absurden Situation“, findet der Rechtsanwalt. Gegen eine Große Koalition sind Liberale ohnehin grundsätzlich, weil sie dann ja nicht dabei wären. Eine Zusammenarbeit mit der SPD oder Rot-Grün lehnt Müller-Sönksen ebenso wie sein Parteichef Westerwelle ab: „Dann würden wir unglaubwürdig.“
Auswege aus der von den WählerInnen herbeigeführten Unregierbarkeit suchen derweil auch die anderen. „Sehr schwierig“ ist die Lage nach Einschätzung von Dirk Fischer, Landeschef und Spitzenkandidat der Hamburger CDU. Es gebe „leider keine klare Basis für eine Regierungsbildung“, sagte er der taz unmittelbar vor Beginn der ersten Sitzung der neuen CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Fischer hält in einigen Politikbereichen „die Schnittmengen mit den Grünen für größer als mit der SPD – die Probleme auf anderen Feldern allerdings auch“.
In letzterem Punkt stimmt ihm Krista Sager zu. Energie, Gesundheits- oder Sozialpolitik seien Felder, auf denen Übereinstimmungen zwischen Grünen und Schwarzen nicht zu erkennen seien, befindet die Spitzenkandidatin der GAL und grüne Fraktionschefin im Bundestag. Im Übrigen halte sie die Jamaika-Debatte „für ein Ablenkungsmanöver“, mit dem die Union „Zeit zu gewinnen“ versuche. Die Grünen würden zwar „gerne Gestaltungskraft“ bleiben, allerdings habe „die Opposition auch eine ganz wichtige Funktion in einer Demokratie“.
Das findet auch Christa Goetsch. In der Opposition zu einer Großen Koaltion könnten die Grünen „sich neu sortieren“, glaubt die Fraktionschefin der GAL in der Hamburger Bürgerschaft. Ein Bündnis mit CDU und FDP ist für sie „undenkbar“, allein schon wegen fehlender programmatischer Übereinstimmungen. „Bürgerversicherung contra Kopfpauschale und Ja oder Nein zum Beitritt der Türkei in die EU“ nennt sie im Gespräch mit der taz „zwei Beispiele von vielen“.
Auch eine Ampel mit Rot und Gelb hält Goetsch „für schwierig“. Die Grünen würden darüber wohl sprechen, „wenn die anderen das wollen“ – zumindest die FDP aber wolle ja gar nicht. Und für „ausgeschlossen“ hält Goetsch ein Bündnis mit der Linkspartei: „Das würde die grüne Bundespartei zerreißen“, vor allem wegen der Mitglieder, die von Bündnis 90 kommen.
Um Diagnose wie Therapie verlegen ist auch Hamburgs SPD-Parteichef Mathias Petersen. „Wenn ein Patient mit diesen Beschwerden zu mir käme, wäre ich ratlos“, gesteht der Altonaer Allgemeinmediziner der taz, „und wüsste nicht mal, an welchen Facharzt ich ihn überweisen sollte.“ Der Hamburger Landesvorstand sei jedoch einhellig der Ansicht, dass Neuwahlen nicht in Frage kämen: „Wir müssen die Aufgabe lösen, die die Wähler uns gestellt haben“, sagt Petersen, ob in der Regierung oder in der Opposition.
Am Montag nächster Woche werde der Partei- und Fraktionsvorsitzende Franz Müntefering im SPD-Bundesvorstand über seine Gespräche mit den anderen Parteien berichten. Und dann müsste auch klar sein, ob die Freidemokraten bei ihrer Ablehnung blieben. Er selbst, so Petersen, halte Jamaika für die wahrscheinlichste Option. Wohingegen die grüne Goetsch eine ganz andere Meinung hat: „Musikalisch klasse, politisch indiskutabel.“