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Kein Streit, sondern pure Gewalt -betr.: "Tödlicher Streit unter Schülern", taz vom 18.1.95

Betr.: „Tödlicher Streit unter Schülern“, taz v. 18.1.

Ich kann es mir einfach nicht erklären, wie Ihr dazu kommt, die „körperlichen Attacken“ eines 15-jährigen Schülers gegen ein 14-jähriges Mädchen, seine Mitschülerin, als bloßen „Streit unter Schülern“ zu bezeichnen! Weder ist die Schülerin ein Schüler, noch können die von dem Schüler (Täter) an den Tag gelegten Gewalttätigkeiten – Schläge mit der flachen Hand ins Gesicht, „in den Schwitzkasten“ genommen, und „gegen die Wand geschubst“ – als „Handgreiflichkeiten zwischen den beiden“ ausgelegt werden. Es gibt auch keinen einzige Beleg dafür, daß „zwischen den beiden“ etwas ablief. An keiner Stelle erscheint die Schülerin (Opfer) als die Aktive, angreifend, nicht einmal sich wehrend. Nur einmal gelang es ihr überhaupt, sich „zu befreien“.

Sich aus einer Notlage zu befreien, bedeutet aber nicht, selbst handgreiflich geworden zu sein. Wenn Mädchen/Frauen Opfer von Männergewalt werden, gibt es kein „zwischen“. Auch wenn das Mädchen nicht, wie ihr schon im Untertitel erkennen laßt, an den Folgen der Mißhandlungen starb – was ändert das? Schule schützt Mädchen nicht vor Gewalt, das ist allerdings nur zwischen den Zeilen herauszulesen.

Und warum sollte „kein Zusammenhang“ (Dr. Meisner) zwischen den Mißhandlungen und dem Tod des Mädchens bestehen? Die Erklärung, daß es „bei dünnen Gefäßwänden“ schon reicht, vom Stuhl zu springen, um an einer Gehirnblutung zu sterben, macht den Zusammenhang doch eher wahrscheinlicher, als daß man von ihm absehen könnte. Mich hat der Bericht, in der Sache und wegen eurer Schönschreiberei, wirklich mitgenommen. Betroffenheit zeigt man ja heute nicht mehr.

Gisela Wuttke

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