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Archiv-Artikel

Kein Problem mit 1934

VERGANGENHEIT „1934–2009 – 75 Jahre Motette“ ist das Werbemotto für ein Jubiläum am Bremer Dom. Dieser stellt sich ungeniert in diese Tradition – obwohl die Dommusik damals für die Nazi-Herren sang

Mahnmal am Dom

Heute um 12 Uhr soll am Bremer Dom ein Mahnmal „gegen jede Diskriminierung von Menschen aus ethischen und religiösen Gründen“ angebracht werden – neben einem Domtor, das mit anti-jüdischen Ornamenten verziert ist.

■ Damit will der Dom auch dezent an seine eigene Verstrickung in das „Dritte Reich“ erinnern. Zugleich feiert das Dom „75 Jahre Motette“ – seit 1934.

Es gibt in diesem Jahr kaum „75“-jährige Jubiläen – das mag damit zusammen hängen, dass das Jahr 1934 sich als Beginn einer Tradition schlecht eignet. Solche Bedenken kennt man am Bremer Dom nicht: „75 Jahre Motette – 1934–2009“ steht auf der Reklame-Postkarte, mit der der Dom wirbt. Vor 75 Jahren wurde die Konzertreihe „Motette“ gegründet, die bis heute gepflegt wird. „Man muss nicht alles schrecklich finden, bloß weil es aus den 30er Jahren stammt“, rechtfertigt der Kantor des Domchores, Tobias Gravenhorst, diese Werbe-Idee. Aufgeführt wird das Bach-Programm von 1934, das in der Tradition der Sing-Bewegung der Weimarer Republik stand. „Unter den Tisch kehren“ wolle er das Thema aber nicht – ein Musikhistoriker ist beauftragt, eine Studie zu erarbeiten.

Auch ohne eine solche Studie ist allerdings aus den Akten der Bremer Domgemeinde zu entnehmen, dass die Dommusik sich damals sehr eifrig in den Dienst der Nazi-Ideologie gestellt hat. Schon am 29. März 1933 nach dem Wahlsieg der Nazis sang der Domchor im Rahmen eines Festgottesdienstes ein Halleluja auf die neue Bürgerschaft. Das hatte es bis dahin nie gegeben. Ein halbes Jahr später folgte ein Auftritt auf einer Großveranstaltung des „Kampfbundes für deutsche Kultur“ – jener Naziorganisation, die unter Führung Alfred Rosenbergs entscheidend daran beteiligt war, dass jüdische, linke und nicht anpassungsbereite Künstler schnell aussortiert wurden. Für den Kampfbund konzertierte der Chor 1933 auch in Emden.

Die Aktivitäten des Domchores machen deutlich, wie leicht die NS-Ideologie auch in die scheinbar völlig unpolitischen Bereiche einsickern konnte. Das Jahr 1934 belegt das besonders gut. Am 30. Januar wurde die einjährige Herrschaft Hitlers im Dom gefeiert. Natürlich war der Chor dabei und sein Leiter Richard Liesche zeigte auch an anderer Stelle, dass auf ihn gezählt werden konnte. Im Rahmen der „Motette“ – der von ihm gegründeten Konzertreihe – bot er ein erstes Konzert mit „nordischer Musik“ an. Arische Weihen erhielt auf diese Weise J. S. Bach. 1934 engagierte sich der Domchor bei der NS-Frauenschaft zur „Wimpelweihe“ und auf dem Kreisparteitag der NSDAP, wo er Beethovens „Die Himmel rühmen der Ewigen Ehre“ und das „Horst-Wessel-Lied“ sang.

Der Domprediger Heinz Weidemann ließ sich 1934 zum Landesbischof ernennen und war als „Kommende Kirche“-Herausgeber einer der Köpfe der Nazi-Theologen. Kantor Liesche kam seinen Erwartungen offenbar bereitwillig nach. Über ein Domchor-Gastspiel 1935 im gerade errichteten Kriegerdenkmal auf der so genannten Altmannshöhe schrieb die Bremer Zeitung: „Geradezu magisch war es, wie diese Gesänge in der Abenddämmerung erschollen unter dem Glanze der Fackeln, die 25 SS-Männer für die Singenden hielten.“ Gerd Harms