Kaufhaussterben: Neues Leben im alten Karstadt
Was passiert mit den Innenstädten, wenn die Warenhäuser dichtmachen? In Hamburg-Altona wird im ehemaligen Karstadt jetzt Kultur gemacht.
HAMBURG taz | Drei Kaufhäuser auf 800 Meter Luftlinie - die Große Bergstraße in Hamburg-Altona war vor zwanzig Jahren ein moderner Einkaufstraum. Jetzt lebt die Fußgängerzone vor, was passiert, wenn ein Kaufhaus nach dem anderen dichtmacht. Von den drei größten Ketten ist keine geblieben.
Als Erstes machte 1989 Hertie dicht, das Gebäude wurde abgerissen. An seinem Platz entstand ein Einkaufszentrum mit 60 Geschäften und einem Glasdach. Kaufhof schloss 1998. In die erste und zweite Etage zog Mediamarkt, in die oberste ein Fitnessstudio. Karstadt hörte 2003 auf, und weil es schon ein Shopping Center gab mit H&M und Zara, weil Mediamarkt auch schon da war - genau wie Lidl und zwei Drogerieketten - blieb das Karstadt-Gebäude leer.
Bei einer Fusion von Karstadt und Kaufhof würden bis zu einem Drittel der derzeitigen Filialen schließen, schätzt Standortberater Angelus Bernreuther von der Münchner Handelsberatung BBE. "Vorrangig wird es sicherlich die Städte mit derzeitigen Doppelstandorten treffen." Von Horten, einst viertgrößte Warenhauskette Deutschlands, überlebte nur die Hälfte der rund 80 Häuser, nachdem Kaufhof die Kette 1994 übernommen hatte. Karstadt übernahm im gleichen Jahr mit Hertie die drittgrößte Warenhauskette und führte nur jedes zweite der damals rund 120 Hertie-Häuser bis heute weiter. Etwa jedes zehnte ehemalige Horten- und Hertie-Haus steht seit damals leer.
Was mit einer Fußgängerzone passiert, wenn ein Kaufhaus zumacht, erklärt Stadtforscher Wolfgang Christ von der Bauhaus-Universität Weimar. Ein Kaufhaus funktioniere wie ein "Anker" für den restlichen Einzelhandel. Wenn der Anker wegbricht, "hat der Handel um dieses leerstehende Gebäude keine Chance - 99-Cent-Läden ziehen ein, I-a-Geschäfte verlagern sich, die Gegend verödet."
Es sei "unglaublich schwierig", so ein Haus als Ganzes wiederzubeleben, sagt Christ. Für die großflächigen Immobilien kommen nur wenige Nachmieter in Frage: Shopping Center, große Fachgeschäfte oder Discounter. Doch Fachmärkte nutzen meist nur zwei Etagen, Discounter eine. "Man kann den Handel heute nicht mehr über das erste Obergeschoss hinaus entwickeln", sagt Christ. "Wir müssen überlegen: Was macht man mit dem zweiten, dritten, vierten und fünften Geschoss?"
Im Karstadt von Altona blieben die oberen Etagen fünf Jahre leer - bis vor zwei Monaten hundert freiberufliche Kreative und Künstler das Gebäude mieteten. Auf eigene Kosten rissen sie die grauen Teppiche raus, verlegten Kabel und strichen Wände. Drinnen entstehen Ateliers, Galerien und Tonstudios. Draußen auf dem früheren Karstadt-Parkdeck haben sie Blumen angepflanzt und ein Federballnetz aufgebaut. Bald sollen auf dem Parkdeck Theater, Kino und Modeschauen stattfinden.
In manchen Innenstädten haben die Kaufhäuser noch eine Chance. "Warenhäuser sind auch heute noch erfolgreich, wenn sie entweder über große Frequenzen verfügen wie in Hamburg und München oder sich keine starke Konkurrenz in Form von Einkaufs- und Fachmarktzentren vor Ort befindet", sagt Unternehmensberater Bernreuther. Einkaufszentren seien Kaufhäusern oft überlegen, da sie meist mit guten Gesamtkonzepten geführte würden, meint Stadtforscher Christ. "Sie können auf Veränderungen besser reagieren."
Wenn nachts die Elektrobeats aus dem "Hafenklang im Exil" schallen, kehrt wieder Leben zurück ins Karstadt-Gebäude und in die Große Bergstraße. Der Dönerladen bleibt auch mal länger auf, um das hungrige Partyvolk zu füttern, tagsüber essen hier kreative Freiberufler und Künstler. In der Großen Bergstraße ist zwar nicht mehr so viel Betrieb wie zu Kaufhaus-Zeiten. Doch das ehemalige Karstadt entwickelt sich zum unverwechselbaren Aushängeschild.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel